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Einleitung
„Auf den Kanälen sah man häufig die flachen Kähne der Loh-
gerber, die mit langen Stangen durch die Fluten der Oker
stakten. Gondellieder habe ich aber nie gehört; die wenig
duftenden Ufer des Flusses, der geduldig alles aufnehmen
musste, was heutzutage die Rieselfelder befruchtet, ließen
wohl keine Sangesfreudigkeit zu!“
(B. W-M., die mit ihren Eltern 1849 von Bern­burg / Saale nach
Braunschweig gezogen ist, 1933)
Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Fachleute der
Abwassertechnik noch uneinig, was nun letztlich die beste Art
der Abwasserbeseitigung wäre. So konnte auch in
Braunschweig lange Zeit kein Gesamt­konzept erstellt werden.
Man beschränkte sich zunächst damit, einzelne Kanäle für
einige Häuser oder Straßenteile zu bauen und an die stinkenden,
innerstädtischen Oker­gräben anzuschließen. Um die Fließ­ge­
schwindigkeit zu erhöhen hat man die Gräben zunächst durch
Sandsteinschüttungen auf 8 Fuß (gleich 2,40 m Breite) ver-
schmälert. Daneben wurden auch die Straßengossen, die
häufig das aus den Wohnhäusern ausgeschüttete
Schmutzwasser aufnehmen mussten, gepflastert und an die
vorhandenen Kanäle durch Einläufe angeschlossen.
Die ersten großflächigen Kanalplanungen für die Innenstadt
sind 1869 von Louis Mitgau erstellt worden. Er ist der
Begründer der Stadtentwässerung in Braunschweig. Die
Umsetzung erfolgte aber wegen des Krieges erst 1871. Um die
Geruchsbelästigung in der Stadt einzudämmen sind die
Okerkanäle abgedeckt worden. Die Baumaßnahmen für den
Burgmühlengraben wurden mit siebzehn Bauabschnitten in
der Zeit von 1871 bis 1898 ausgeführt und 1905 durch den
Bau der Stautoranlage (Mundloch Gausberg) abgeschlossen.
Gleichzeitig setzte in Braunschweig in der „Epoche der Wasserreinigung“ zwischen 1886 und 1893 eine umfangreiche
Abwasserkanalbautätigkeit ein. Im Jahr 1895 wurde das Abwasser­pumpwerk Uferstraße und das Rieselgut Steinhof in Betrieb ge-
nommen, seitdem wird das Braunschweiger Abwasser nicht mehr in die Oker geleitet. Dies war auch dringend nötig, denn mit den
steigenden Einwohnerzahlen im 19. Jahrhundert eskalierten auch die hygienischen Probleme (Typhus, Cholera). Die aus jener Zeit
stammende Gussstahl-Leitung aus der Innen­stadt nach Steinhof ist heute noch in Betrieb.
Gegenwärtig nehmen die ehemaligen Okergräben in der Regel nur das Oberflächenwasser der Innenstadt auf und führen es über
die Haupteinleitungsstelle durch den Burgmühlen­graben am Gaußberg in die Oker. In der Innenstadt ist noch eine Mischwasser­
kanalisation vorhanden, es wird dort gemeinsam Abwasser und Oberflächenwasser abgeführt und zum Rieselgut Steinhof ge-
leitet. Um diese Kanalisation bei wolkenbruchartigen Regenfällen vor dem Überlauf zu schützen, gelangte dann Abwasser über
Notauslässe in die Okerkanäle und damit bislang auch in die Oker.
Mit dem Bau des neuen unterirdischen Pumpwerkes 2008/09 am Inselwall ist dem Burgmühlengraben eine mechanische Klärstufe
vorgeschaltet worden, so dass in solchen Situationen das Auftauchen von Fäkalien und Toilettenpapier in der Oker ausgeschlossen
wird.
In der nun vorliegende Studie zur Dokumentation der Braunschweiger Okergräben soll die Lage und Bildung der Okerarme in den
verschiedenen Zeiträumen dargestellt werden. Darüber hinaus wird über die Planung und Realisierung der Abdeckung des
Burgmühlengrabens berichtet. Details über die Ausstattung und Errichtung von unterirdischen Bauwerken sowie über die Nutzung
der „gewonnenen“ Grundstücke auf der Trasse des Grabens sollen ebenfalls zur Sprache kommen. Gleichzeitig soll aber auch über
Abb. 3: Wendenmühlengraben, Baustelle Bohlweg / Damm –
Langedammstraße mit Blickrichtung Stobenstraße, 1892.