Seite 120 - Fallersleben

Basic HTML-Version

330
Der Weg zum Stadtteil einer Großstadt
WERNER STRAUSS
Schon im 19. Jahrhundert gab es Reformbewegungen
zur Verwirklichung des kommunalen Selbstverwaltungs­
gedankens oder bezogen auf die Umbildung der Landes­
verwaltungsorganisation. Die um das Jahr 1955 in der
Bundesrepublik einsetzende Diskussion um die Anpas­
sung von Gemeinden, Landkreisen, Regierungsbezirken
und auch der Länder an geänderte Strukturen und Be­
dürfnisse der Einwohner hatte weitreichende Konse­
quenzen für die Gebietszuschnitte und die Verwaltungs­
organisation. Nach der Beseitigung der Kriegsfolgen
lösten die fortschreitende Industrialisierung und der
technische Fortschritt gesellschaftliche und soziale Ver­
änderungsprozesse aus, denen die staatliche und
kommunale Verwaltungsstruktur vielerorts nicht mehr
gerecht werden konnte.
Mit Beschluss der Niedersächsischen Landesregierung
vom 30. März 1965 erhielt eine Sachverständigen­
kommission, benannt nach ihrem Vorsitzenden, den
Göttinger Staatsrechtler Prof. Werner Weber, den Auf­
trag, Vorschläge für eine Verbesserung der Verwaltungs­
struktur des Landes Niedersachsen zu erarbeiten.
1
Dies
bezog sich nicht nur auf die kommunale Gebietsreform
sondern beinhaltete auch die Neuordnung der Regierungs-
und Verwaltungsbezirke, von denen es damals noch acht
gab und die vielfach eine lange Geschichte als früher
selbstständige Territorien aufweisen konnten. Der
flächenmäßig größte Regierungsbezirk Lüneburg be­
stand, abgesehen von kleineren Korrekturen, als ehe­
maliger Territorialbesitz der Herzöge zu Braunschweig-
Lüneburg seit über 700 Jahren. Von der Kommission
wurde in einer äußerst ambitionierten Aufgabenstellung
eine grundlegende Überprüfung der Verwaltung in
ihrem Gesamtgefüge erwartet.
Auf der Ebene der Kommunalverwaltungen lag das
Hauptproblem in Niedersachsen in der Vielzahl kleiner
und kleinster Gemeinden. Nach dem Stand Ende 1965
hatte fast die Hälfte der 4.248 niedersächsischen
Der Weg zum Stadtteil einer Großstadt: Die Gebietsreform im Raum Wolfsburg
Kommunen weniger als 500 Einwohner. Die anzu­
treffenden Reformen erfordernden Mängel ließen sich
mit den Begriffen unzureichender Verwaltungs- und
Finanzkraft zusammenfassen. Ohne ausreichende
Finanzausstattung und ausgebildetes Verwaltungs­
personal sowie mangels notwendiger Einrichtungen
zur kommunalen Daseinsvorsorge für die Bürger waren
die kleinen Gemeinden zunehmend weniger in der
Lage, den auf der anderen Seite gewachsenen Auf­
gaben gerecht zu werden. Das Weber-Gutachten
formulierte folgende Zielprojektion: „Vordringliches
Ziel einer Gemeindereform muss es sein, die Substanz
der gemeindlichen Selbstverwaltung dadurch zu
stärken, das die als umfassend gedachte kommunale
Wirkungsmöglichkeit der Gemeinden wiederhergestellt
wird und die Gemeinden auf diese Weise wieder
Beratungs- und Entscheidungsstoff von wirklichem
kommunalpolitischem Gewicht erhalten.“
2
Besonders nahm sich die Sachverständigenkom­
mission der Stadt-Umland-Problematik und der sich
daraus ergebenden Schaffung von städtischen Zentren
an. In Folge der Durchdringung von Stadt und Umland
hatten sich früher auf eine Stadt begrenzte Aufgaben
auf die Nachbargemeinden oder sogar auf eine ganze
Region ausgeweitet. Zu den angesprochenen Bereichen
gehörten u.a. die Bauleitplanung, die Verkehrsplanung
sowie die Versorgung mit Gas, Wasser, Elektrizität oder
auch die Entsorgung. Ein entscheidendes Instrument zur
Überwindung der Stadt-Umland-Problematik war der
Zusammenschluss von Stadt und Umlandgemein­den. Zu
den Kriterien zur Überprüfung von Verflech­tungs-Zu­
sam­menhängen gehörten bauliche Zusammen­hänge, In­
vestitionsvorhaben der Stadt in Um­land­gemeinden,
wirtschaftliche Verflechtungen und Nahverkehrsbezie­
hungen. Der Katalog solcher Merkmale umfasste ferner
die Notwendigkeit gemeinsamer Ver- und Entsorgung,
eine einheitliche Aufgabenstellung in Bezug auf gleich­