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Städtlein, Land, Fluss
vom 16. zum 17. Jahrhundert und wurden von dem
Celler Hofarzt Johann Mellinger, geboren etwa 1540,
gestorben im Jahr 1603, von Hand gezeichnet.
„Die ein-
zige nachweisbare Ausfertigung von Mellinger selbst ist
seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen, aber glücklicher-
weise ist das Werk Ende des 17. Jhs. mehrfach kopiert
worden.“
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Eine dieser Kopien befindet sich noch heute
im Niedersächsischen Landesarchiv, Hauptstaatsarchiv
Hannover; sie ist die Vorlage für die ersten beiden Ab-
bildungen in diesem Kapitel.
Geometrisch-kartographisch korrekt hat Johann
Mellinger – wie angedeutet – nicht gearbeitet, aber
seine Darstellung war imWortsinn zweckdienlich. Der
landesherrlichen Verwaltung ging es offenbar darum,
einen Überblick über die Ämter und Vogteien sowie
deren Kirchspiele zu gewinnen. Ob
„Forsfelde“
dabei
deutlich zu nah an die
„Wolffesburg“
heranrückte, beide
lagen ja noch dazu im Ausland, oder die Ortslagen der
Amtsdörfer auf der Karte jener in der Wirklichkeit nicht
immer entsprechen, war nicht entscheidend. Selbst
dass Mellinger etwa Heiligendorf in „Heiligenrode“
verwandelte, darf man vor dem Hintergrund seines an-
spruchsvollen Gesamtwerkes als Nichtigkeit verzeihen.
Auch die Grenzen der Kirchspiele, die ja auf mittelalter-
liche kirchliche Verwaltungsstrukturen zurückgehen,
waren hinreichend dokumentiert, wenn sie alle Kirch-
spielorte einschlossen, die Grenzverläufe selbst aber
nur rein schematisch dargestellt wurden. Sie dürfen
grundsätzlich als eher „virtuell“ angesehen werden, da
es exakte Gemarkungsgrenzen auf dem platten Land
erst seit den hannoverschen Agrarreformen des
19. Jahrhunderts gibt.
Zum Stichwort Grenzen gilt es, noch einen anderen
wichtigen Hinweis zu machen: Der Atlas zeigt keine
„Binnendifferenzierung der Herrschaft“
. Er verschweigt
unter anderem, ob Hoheitsrechte oder Landesteile an
Familienmitglieder des Herrscherhauses vergeben oder
an Dritte verpfändet waren, ob und wo andere Herr-
schaftsträger wie Adel, Geistlichkeit oder Städte noch
ureigene Zuständigkeiten – bis hin zu städtischen und
Patrimonialgerichten – besaßen. Er
„beschreibt die
bereits in Flächen denkende, auf einheitliche Ver-
waltungseinheiten ausgerichtete Oberhoheit der fürst-
lichen Kammerverwaltung“
und
„ist insofern ein Griff
in die Zukunft“
– so der Göttinger Historiker Dieter
Neitzert.
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Und Neitzert hält sodann sehr zugespitzt
fest: „
Auch für den Atlas von Johannes Mellinger gilt das
alte Problem: Eine Karte, die versucht, Geschichte ins
Bild zu setzten, lügt notwendigerweise immer – und sie
kann dennoch nützlich sein.“
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Wichtige Landschaftselemente wie die Aller, einige
Bäche und größere Gehölze wirken in ihren Verläufen
respektive Umrissen nicht so, als hätte Mellinger sie
möglichst originalgetreu wiedergegeben: Das Un-
gefähre war auch in dieser Hinsicht völlig ausreichend,
um den Verwaltungsbeamten einen ersten Einblick in
die Topographie des Amtsbezirks zu gewähren, zumal
der Mellingeratlas eher als thematisches, denn als
topographisches Kartenwerk einzuordnen ist. Und die
Verhältnisse in den benachbarten Ämtern und Terri
torien sind schon gar nicht Thema der Einzelkarten.
An der Amtsgrenze endet daher im Wesentlichen auch
die kartographische Darstellung des Raums Fallers-
leben, wenig bis nichts von dem, was um 1600 außer-
halb des Amts lag, wurde noch eingezeichnet – wobei
derNutzer des Atlasses die benachbarten lüneburgischen
Ämter und Vogteien selbstverständlich auf deren
Karten finden konnte. Diese noch heute gängige Dar-
stellungsweise, die alles außerhalb des Betrachtungs-
raums weitgehend ausblendet, nennt man übrigens
„Inselkarte“.
Die Darstellung des Fleckens zeigt nicht den Orts-
grundriss, sondern eine generalisierte Silhouette mit
vier Türmen über einem Querriegel. Damit kenn-
zeichnete Johann Mellinger – im Gegensatz zu den
Städten, die fünf Türme zieren – die „Städtlein“. Auch
andere Siedlungen werden durch solche Signaturen
und den Namenszug wiedergegeben, zum Beispiel
Fürstliche Häuser mit Hilfe von drei Türmen,
Siedlungen mit Adelsgut mit Mittelturm auf dem Quer-
riegel, landesherrliche Kirchdörfer mit einer Kirche mit
links stehendem Turm (oder, wenn man so will, einem