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dorp – civitas – wicbeld
VON ANNETTE VON BOETTICHER
1. Der Name Fallersleben
Bekanntermaßen muss die erste schriftliche Nennung
eines Ortes nicht unbedingt aus seiner Entstehungszeit
stammen. In den meisten Fällen fehlen aus dieser
Phase jegliche schriftliche Hinweise. Archäologische
Grabungen und siedlungsgeographische Untersuchun
gen könnten weiterhelfen und Anhaltspunkte liefern,
in welche Siedlungsperiode ein bestimmter Ort einzu-
reihen ist. Für Fallersleben gibt es jedoch keine archäo-
logischen Funde, die Rückschlüsse auf die Entstehung
der Siedlung zuließen. Fest steht aber, dass der Ort viel
älter ist als seine erste urkundliche Erwähnung um die
Mitte des 10. Jahrhunderts
1
.
Allein die Ortsnamenforschung kann hier einige
siedlungsgeschichtliche Hinweise geben. Fallersleben
erscheint im 10. Jahrhundert als „Valareslebo“ (942),
„Valresleba“ (973), später als „Valirslive“ (1244), „Val
lersleve“ (1326, 1374). Der Ort gehört damit zu den-
jenigen Siedlungsplätzen, die im Neuhochdeutschen
die auffällige Endung auf „-leben“ aufweisen. Die Ver-
breitung dieser Orte ist ziemlich genau zu bestimmen:
Sie zieht sich von Thüringen aus über das heutige öst-
liche Niedersachsen hin bis nach Dänemark und
Schweden
2
, wo Orte mit der entsprechenden Endung
auf „-löv“ zu finden sind. Dieses Suffix leitet sich vom
gotischen „-leiba“ ab und bedeutet soviel wie Hinter-
lassenschaft oder Erbe.
Allerdings tut sich die Ortsnamenforschung recht
schwer mit der zeitlichen und stammesgeschichtlichen
Einordnung jener Orte
3
. Nur soviel lässt sich sagen:
Die „leben“-Endung taucht in der Regel im Zusammen-
hang mit einem Personennamen auf, der weder der
Karolinger- noch der Ottonenzeit zugerechnet werden
kann. Die Verbreitung solcher Namen wird in Zu-
sammenhang gebracht mit der späten Völkerwande
rungszeit, vor allem mit dem ostfälischen Stamm der
dorp – civitas – wicbeld: Herrschaft, Besitzverhältnisse und Wirtschaft Fallerslebens im Mittelalter
Warnen, durch die diese Orte möglicherweise eine
Süd-Nordbewegung erhielten. Als ungefähre zeitliche
Einordnung gilt das 8. Jahrhundert. Keinesfalls kann
aufgrund dieser vagen Datierung ein genaueres Ent
stehungsdatum von Fallersleben angegeben werden.
Lassen wir es vielmehr mit dem Hinweis auf das ver-
mutlich hohe Alter dieser Siedlung bewenden.
2. Erste Erwähnungen des Ortes vor dem Jahr 1000
Erstmals urkundlich erwähnt wird Fallersleben in der
Namensform „Ualareslebo“ in einer Urkunde des
deutschen Königs Otto I.,
4
als dieser der dortigen St.
Michaeliskirche Ländereien von fünf Hufen im südlich
von Fallersleben gelegenen Ort Ehmen übertrug
5
. Als
Datum in jener Urkunde ist Mittwoch, der 5. Oktober
des Jahres 966 angegeben („anno dominicae
incarnatioinis CCCCCLXVI, indictione XIIII, feria IIH,
data III non. octobris“). Ausgestellt wurde das Diplom
in Magdeburg. Die Jahresangabe gibt jedoch Rätsel auf,
Erwähnung von Fallersleben („ualareslebo“) in der Urkunde Otto I.