134
Der Schatz des Stadtarchivs
ANNETTE VON BOETTICHER
Stadt- und Ratsbücher als historische Quellen
„Stadtbücher sind in Buchform geordnete, schriftliche
Aufzeichnungen städtischer Behörden seit dem Mittel
alter. Sie stehen im Gegensatz zur losen Aktenführung
der Neuzeit wie zur Einzelurkunde.“
1
An dieser Defini
tion von Konrad Beyerle hat sich auch heute noch
nichts geändert, ebenso wenig an der Tatsache, dass
diese den normativen Quellen zuzurechnenden Über
lieferungen für die historische Städteforschung unver
zichtbare und in vielerlei Hinsicht auszuwertende
Quellen darstellen.
In ihnen spiegeln sich die Rechtshandlungen und
Rechtstatsachen in chronologischer Abfolge wider, die
spätestens seit der Erfindung des Buchdrucks vielfach
hin zu gedruckten Gesetzbüchern führen und das
städtische Recht und die städtische Verfassung sowie
deren Entwicklung dokumentieren. Denn „in dem
Maße, in dem sie [die Städte] mit der kommunalen Be
wegung den Sieg über die feudale Stadtherrschaft er
ringen, das Stadtrecht erwerben und sich zu einer auto
nomen Stadtgemeinde mit dem städtischen Rat
etablieren, bilden sie eine selbstständige Verwaltung
mit eigenen Rechtsnormen aus.“
2
Im Gegensatz zu einer
städtischen Chronik, einer häufig vom Rat in Auftrag
gegebenen Abfassung der Stadtgeschichte von den An
fängen bis zur jeweiligen Gegenwart, zeichnet sich die
Gruppe der Stadtbücher also durch ihren Rechts
charakter aus. Es handelt sich somit um öffentliche,
vom Stadtrat geführte Bücher zur Eintragung von
privaten Rechtsakten (Liegenschaftsrecht), wie sie vor
dem Rat verhandelt wurden.
Und dennoch kann der Begriff „Stadtbuch“ nur als
Sammelbegriff verstanden werden, da sich darin in der
Regel eine Fülle von allgemeinen Geschäften und Ver
handlungen der Stadtverwaltung, Gerichtsentschei
dungen, Testamenten, Schlichtung von Streitigkeiten,
Verleihung des Bürgerrechts oder auch Hinweise auf
wichtige Vorkommnisse in der Stadt wieder finden.
Nicht selten nahmen die Eintragungen in ihrer Viel
fältigkeit derart überhand, dass parallel Statuten-,
Bürger- und Rechnungsbücher geführt wurden
3
, die
ihrerseits ebenfalls unter den Begriff Stadtbuch zu
subsummieren sind.
Das Ratsbuch als eine spezielle Form des Stadt
buches zu definieren, fällt schwer. K. Beyerle unter
nimmt zwar den Versuch: „Im Zweifel sind erhaltene
Stadtbücher, namentlich aus älterer Zeit, als Ratsbücher
anzusehen, d. h. als geordnete Aufzeichnungen der von
oder vor dem Rate getätigten Geschäfte“
4
; er muss aber
dennoch feststellen: „Ihrer Anlage nach stellen sie bald
ein buntes Durcheinander dar, bald zerfallen sie in ver
schiedene Abteilungen, deren jede besonderen Gegen
ständen vorbehalten wurde.“
5
Zum Inhalt des Fallersleber Ratsbuchs von 1547
Das „Ratsbuch des Fleckens und der Stadt Fallers
leben“
6
aus dem Jahre 1547 kann man als einen be
sonderen Schatz im heutigen Stadtarchiv Wolfsburg
bezeichnen, der zwar bekannt, aber in seiner Bedeu
tung für die Stadt- und Landesgeschichte längst nicht
vollständig gehoben worden ist.
Das in geprägtem Pergament gebundene Buch
wurde im Jahre 1992 im Rahmen der Ausstellung
„Fallersleben, wie es war – 1.050 Jahre Fallersleben –
ein Jahrtausend Geschichte“ im Fallersleber Schloss
der Öffentlichkeit präsentiert.
7
Es umfasst 543 ge
zeichnete Seiten, wobei mehrere Seiten für Nachträge
unbeschrieben gelassen wurden. Der Innendeckel
weist Nachträge von verschiedenen Schreiberhänden
aus den Jahren 1607, 1625 und 1649 auf. Auf Seite 1
finden wir das Motto, mit dem das Buch überschrieben
Der Schatz des Stadtarchivs: Das Fallersleber Ratsbuch