Seite 64 - Fallersleben

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Im Mittelpunkt
DIRK RIESENER
Ämter waren für den deutschen Territorialstaat vom
Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert als dessen untere
Verwaltungsstellen von entscheidender Bedeutung.
Durch sie wurden fast alle Rechte und Aufgaben des
Herrschers auf regionaler Ebene ausgeübt. Der Amtmann
verkörperte sozusagen den Landesherrn, setzte dessen
Gesetze und Verordnungen um, zog für den Herrscher
die Abgaben, Steuern und Dienste der Untertanen ein,
und er sprach Recht. Der Begriff Amt umfasste deshalb
mehrere Aspekte: Ein durch die Amtsgrenzen fest­
gelegter Teil des Staatsgebiets, eine Verwaltungsbehörde
mit vielfältigen Aufgaben, ein Gericht, und vor allem:
ein landwirtschaftliches Großunternehmen.
Um die Bedeutungsvielfalt des Begriffes Amt nach­
zuzeichnen, betrachten wir im Folgenden die Einzel­
teile des Amtes Fallersleben genauer.
1
Fallersleben war
eines der kleineren Ämter im Fürstentum Lüneburg,
das später Teil des Kurfürstentums und schließlich des
Königreichs Hannover wurde. Es war ein Grenzamt zur
Altmark und reichte wie ein Keil in das Herzogtum
Braunschweig-Wolfenbüttel hinein, zu dem es zeit­
weilig gehört hatte.
Fallersleben selbst war zunächst eine Feste der
Grafen von Wohldenberg, die sie 1337 mitsamt Dörfern
und Land an die Welfen verkauften. Das Amt Fallers­
leben gehörte danach nicht zum Kernland des Fürsten­
tums, sondern wurde wiederholt bei knapper Finanz­
lage an adlige Geldgeber verpfändet. Mehrfach diente
das Amt auch zur Versorgung von Herzoginwitwen. Erst
nach dem Dreißigjährigen Krieg gehörte es zum festen
Besitz des Fürsten und wurde nicht mehr verpfändet.
Vom Lehen zum Amt
Als die Amtsverwaltungen eingerichtet wurden, be­
deutete dies einen Neuanfang nach dem mittelalter­
lichen Lehnswesen. Der Lehnsstaat bestand aus einer
vom König ausgehenden Abhängigkeitspyramide, und
das Bindeglied zwischen den Stufen der Abhängigen
war das Lehen. Der Herrscher ‚verlieh‘ „Land und Leute“
an Adlige und verpflichtete diese im Gegenzug zur Ge­
folgschaft, d. h. zur Übernahme von Verantwortung im
Lehnsstaat. Das Lehen blieb nur kurze Zeit eine ‚Leihe‘
auf Lebenszeit; der Adel wusste es bald in ein erbliches
Lehen zu verwandeln.
Als Grafen hatten die von Wohldenberg das Richter­
amt ausgeübt und dafür die Einnahmen aus dem
Lehnsgebiet erhoben. Lange vor ihrem Erscheinen
wurde Fallersleben bzw. der Grevenlah bereits als Ge­
richtsort genutzt: 1006 ließ König Heinrich II. hier die
aufständischen slawischen Häuptlinge Boris und
Vezemuiskle mitsamt ihrem Gefolge hinrichten.
2
Indem die Welfen Fallersleben nach dessen Kauf in
ein Amt umwandelten, vermieden sie es, das Land
wieder auf Dauer an Lehnsträger zu verlieren und be­
hielten die Kontrolle über Land und Leute. Dies galt
auch in Zeiten der Verpfändung des Amtes. Die nun
eingesetzten Amtmänner waren Beamte auf Lebens­
zeit und konnten ihr Amt nicht vererben. Wie zuvor
die Grafen übten auch sie das Richteramt aus, doch
war ihre eigentliche Aufgabe eine andere: Sie bewirt­
schafteten imAuftrag des Herrschers dessen Ländereien
im Amt und forderten dazu die Hand- und Spann­
dienstleistungen der Bauern ein. Weitere Rechte des
Landesherrn wie das Brau-, das Krug- und das Mühlen­
recht rundeten den entstehenden ‚Amtshaushalt‘ ab.
Am Amtssitz entstand ein umfangreiches und viel­
fältiges landwirtschaftliches Großunternehmen mit
zahlreichen Wirtschaftsgebäuden.
Die ‚Amtshaushalte‘ waren die Antwort auf die spät­
mittelalterliche Agrarkrise, die zur Verarmung der
Herrscher wie des Adels geführt hatte. Vor allem nach
der Pestkatastrophe von 1348-50, die besonders die
Im Mittelpunkt: Fallersleben als Sitz des Amtes