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findet also in der Abbreviatur ein bild-
liches Mittel, um aktives Handeln und
statisches Da-Sein kurzzuschließen und
so eine Geschichte zu erzählen: eine Ge-
schichte, die von einer Stadt handelt, die
mit ihren Baudenkmälern lebt und sie
durch moderne Technik in das städtische
Leben einbezieht. Denn folgt man dem
Fotografen in seiner Bildargumentation,
so schließt man als Betrachter, daß durch
die nächtliche Beleuchtung der Fassade
zukünftig die Katharinenkirche als städ-
tischer Fixpunkt inszeniert werden wird.
Der Braunschweiger Bürgersinn wird
anschaulich, der dadurch charakterisiert
ist, daß das Leben mit historischen
Baudenkmälern von den Zeitgenossen
als freudig akzeptierte Verpflichtung
empfunden wird. In der Tat war es eine
der dringlichsten Aufgaben der Nach-
kriegszeit, die Kriegsschäden an dem
Bauwerk zu beheben. Von 1946 bis 1952
fand die Sicherung der Bausubstanz statt.
Sie gipfelte im Neubau der Turmspitzen,
die 1957/58 in historischer Form durch
den Oberlandeskirchenbaurat Friedrich
Berndt rekonstruiert wurden. Es war
wohl dieser, für die Öffentlichkeit deut-
lich sichtbare Abschluß des Wiederauf-
baus des Gotteshauses, der die nächtliche
Beleuchtung der Fassade bedingte und
damit auch den Anlaß dafür schuf, daß
Hans Steffens sich mit seiner Kamera in
luftige Höhen begab.
Auch bei der Ansicht von St. Andreas,
die von ihm zusammen mit dem 1967
entstandenen Neubau der Bank für Ge-
meinwirtschaft abgelichtet wird, sucht
Steffens den Kontrast von alter Bausub-
stanz mit moderner Technik. Für Kompo-
sition und damit auch Aussage ist wichtig,
daß die vertikale Mittelachse des Bildes
weitgehend
leer
bleibt. Damit eröffnet
sich ein Spannungsfeld, das durch die
Gegenüberstellung von historischem
Kirchengebäude und zeitgenössischer
Architektur geprägt wird. Die Silhouette
von St. Andreas ragt in den pittoresken
Abendhimmel, wobei durch die strikte
durchgehende Linie der Begrenzung
des hohen Süd-Turmes rechts von der
Bildachse ein starker Akzent entsteht.
Links von der Achse antwortet dem die
Architektur des modernen Gebäudes, die
jedoch durch gegensätzliche Impulse cha-
rakterisiert ist. Aus der linken Bildhälfte
streben die horizontalen Bauteile auf die
Mitte zu. Durch die Wahl des Standortes
betont Steffens so die Ecke des Gebäudes,
deren Besonderheit transparente Fragili-
tät ist. Großflächige Fenster, noch durch
aufgemalte Andreas(!)-Kreuze als gerade
erst eingebaut markiert, ermöglichen
den Durchblick auf die Konstruktion. Die
Auflösung der Ecke, ein Merkmal der ar-
chitektonischen Moderne, wird durch die
Erscheinung an prominenter Stelle im
Bild akzentuiert und als entwurfsbestim-
mend charakterisiert. Im Gegensatz von
Alt und Neu schafft Steffens’ Blick so eine
Metapher für die stetige Erneuerung des
historischen Stadtkerns der alten Han-
delsstadt Braunschweig. Zwar prägen die
Silhouetten der zahlreichen historischen
Kirchen Braunschweigs auch nach dem
Wiederaufbau die Ansicht der Stadt. Aber
immer wieder rückt Steffens sie im Laufe
seiner Streifzüge ins Bild und findet dabei
häufig Motive, die nicht nur lediglich eine
Ansicht der historischen Sakralarchitektu-
ren wiedergeben, sondern das sie umge-
bende moderne städtische Leben zeigen.
Für seine Bilder der Villa
Salve Hospes
wählt Steffens einen fotografischen An-
Montage von Scheinwerfern
(nach) 1958
11,8 x 17,1
Im Hintergrund ragt St. Katharinen
ins Bild.