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Einsatz von KZ-Häftlingen in der deutschen Wirtschaft
1944/1945
Anfang 1944, als die Deportationen von ausländischen Zivilarbeitern nach Deutschland
angesichts der Frontlage nicht mehr möglich waren, griffen deutsche Unternehmen
zunehmend auf das seit der Jahreswende 1941/1942 bestehende Angebot der SS zurück,
die in deren Gewalt befindlichen KZ-Häftlinge als billige Arbeitskräfte einzusetzen. Im
Frühjahr 1944 stieg die Anzahl der Arbeitslager, die als Außenlager der Konzentrations-
lager funktionierten, in Deutschland und in den besetzten Gebieten rapide an. Ähnlich
schnell wuchs die Liste der Unternehmen – darunter zahlreiche renommierte Firmen –,
die als Betreiber der Außenlager in Erscheinung traten.
Anträge auf Zuteilung von KZ-Häftlingen wurden von den interessierten Firmen
direkt bei dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA) gestellt, und zwar im
Allgemeinen bei SS-Sturmbannführer Maurer, dem Leiter der Abteilung D II Arbeitsein-
satz der Häftlinge. In Einzelfällen wurden diese Anträge vom SS-Brigadeführer Glücks,
Maurers Vorgesetztem, und – wenn der Antragsteller besonders gute Kontakte zu der SS
pflegte – vom Leiter des WVHA, SS-Gruppenführer Pohl, bearbeitet. Nachdem die Zutei-
lung von Häftlingen genehmigt worden war, kontrollierten Vertreter vom WVHA sowie
der zuständige Lagerkommandant das für die Häftlinge eingerichtete Lager, wobei die SS
besonders auf verschiedene Sicherheitsvorkehrungen (entsprechender Zaun, Risiko der
Kontaktaufnahme zu den Zivilarbeitern) achtete. Waren diese Sicherheitsmaßnahmen
erfüllt, wurde das entsprechende KZ angewiesen, eine bestimmte Anzahl von Häftlingen
an den Antragsteller zu überstellen. Die Firmen konnten selbst in einem KZ die Häftlinge
auswählen, die für den Arbeitseinsatz am besten geeignet erschienen. Bis Ende 1944 hatte
das WVHA ca. 600.000 Häftlinge an deutsche Unternehmen überstellt.
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Die Braunschweiger Büssing-Automobilwerke hatten ebenfalls eine Zuteilung von
KZ-Häftlingen beantragt.
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Aussage Karl Sommer, Mitarbeiter des WVHA, vom 4.10.1946 vor einem alliierten Untersuchungsoffizier,
zit. in Blaich, Fritz: Wirtschaft und Rüstung im Dritten Reich, Düsseldorf 1987, S. 116. Sommer sagte nicht
aus, dass ab Oktober 1944 die Anträge zuerst an das sog. Speerministerium gerichtet werden mussten, erst
dann an das WVHA. Diesen Hinweis verdanke ich Bernhard Strebel aus Hannover. Zu erwähnen ist, dass
der Einsatz von KZ-Häftlingen in der privaten deutschen Wirtschaft schon seit 1941/42 erfolgte.