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Vorwort
Seit 1942 bildeten die Konzentrationslager zahlreiche Außenlager, in denen unter strenger
Bewachung Häftlinge für die Arbeit in Rüstungsbetrieben untergebracht wurden. So rich-
tete das Konzentrationslager Neuengamme für die Arbeit von Häftlingen in der Firma
Büssing-Automobilwerke ein Lager in der Braunschweiger Schillstraße ein. Diese Außen-
lager, das KZ in der Nachbarschaft, brachten die Konzentrationslager in einen unmittel-
baren Kontakt mit den Bürgern der Städte. Wo die Außenlager nicht gleich neben den
Fabrikbetrieben lagen, waren die Häftlinge auf dem Marsch zur Arbeit täglich zu sehen.
Unmittelbar wurden die Arbeiter und Arbeiterinnen der Rüstungsbetriebe mit den
Häftlingen aus den Konzentrationslagern konfrontiert, sie standen mit diesen zusammen
an Maschinen und Werkbänken. So konnten die Konzentrationslager und ihre Insassen
während der späten Kriegszeit in Deutschland zur alltäglichen Realität werden.
Für die Häftlinge der Konzentrationslager war die Verlegung in ein Außenlager eine
Veränderung, mit der sie Hoffnungen und Erwartungen verbanden. Die größte Gruppe
der Häftlinge, die in das Braunschweiger Lager in der Schillstraße kam, bestand aus pol-
nischen Juden des Konzentrationslagers Auschwitz, die nichts sehnlicher wünschten, als
dem Vernichtungslager zu entkommen. Die Auswahl für die Arbeit in Braunschweig, die
zwei Vertreter der Firma Büssing in Auschwitz durchführten, wurde von den Häftlingen
als die vielleicht letzte Chance verstanden, ihr Leben zu retten. Die Berichte der Häftlinge
über diese Auswahl sind mit Recht ausführlich zitiert worden und bilden einen zentralen
Punkt der Darstellung. Die schlechten Lebensbedingungen im Lager Schillstraße führten
dann allerdings dazu, dass auch dort wieder zahlreiche Häftlinge starben. Die Darstellung
geht auf das Leben und Sterben im Lager ein, sie schildert die Situation bei der Arbeit,
die Evakuierung bei Annäherung der alliierten Truppen und schließlich die Befreiung.
Wichtig sind auch die Kurzbiografien von Häftlingen, da sie einen Einblick in das Leben
vor und nach der Zeit im Konzentrationslager geben.
Die Darstellung von Karl Liedke ist knapp und außerordentlich konkret. Erreicht wird
die Konkretisierung vor allem durch zahlreiche Interviews, die im Zusammenhang des
Ausbaus der Gedenkstätte Bergen-Belsen noch in neuerer Zeit gemacht werden konnten.
Dem Autor ist für seinen Text und die ergänzenden Dokumente und Fotografien sehr
zu danken. Gibt er damit doch der Informationsarbeit, die die Gedenkstätte der Stadt
Braunschweig in der Schillstraße leistet, aber auch dem Geschichtsunterricht in den Schu-
len und überhaupt der Erinnerungsarbeit eine wichtige Unterstützung.
Herbert Obenaus