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D i e A r c h i t e k t u r d e s K a i s e r d o m s – G e s t a l t u n d G e n e s e
Gewände, darüber ein spitzbogiges Maß­werkfenster ein-
gelassen – ja, gotisch sind die Formen hier schon: Weit
zurück lagen die Zeiten der Gründung, als man den Riegel
im oberen Bereich zu Ende führte. Bemerkenswert ist,
dass dabei der Blick für das Ganze nicht verloren ging,
für die Bildung und Austarierung der Baumassen. Als
Gegengewicht zum Querhaus ist der West­riegel für die
Gesamtanlage unverzichtbar. Die beiden Turmstümpfe
stehen dem einen mächtigen Vierungsturm gegenüber
und halten die Waage.
Westriegel und Querhaus – zwischen diesen beiden quer
zur Hauptachse gerichteten Baukörpern ist das Langhaus
gespannt. Betrachten wir die Nord-, die Schauseite des
Bauwerks: Hoch ragt über dem Seiten- das Mittelschiff
auf. Außer dem zweistufigen, durchlaufenden Rundbogen-
fries unterhalb der Traufe, zeigt der Obergaden keine wei-
teren Gliederungselemente. Die schlanken Rundbogen­
fenster nutzen die gesamte zur Verfügung stehende Höhe
aus. Gleiche Abstände verraten nichts vom Gewölbe im
Inneren, sehr wohl aber von der ursprünglichen Planung,
die eine flache Decke vorsah. Die Fensterlaibungen sind
aus Werksteinen gearbeitet, sonst herrscht unregelmäßig
behauenes Steinmaterial vor. Im Gegensatz dazu muss
das sorgfältige Mauerwerk des Seitenschiffs darunter auf-
fallen. Vorlagen betonen den östlichen Wandabschnitt:
Breite Lisenen mit aufgesetzten schlanken Halbsäulen
stehen auf dem entsprechend doppelt verkröpftem Sockel
und reichen bis unter das Traufenprofil. Unmittelbar west­
lich dieses Wandabschnitts ist im Mauerwerk eine Bau-
naht erkennbar: Größere Quader treppen nach unten ab,
Blöcke kleineren Formats, aber nicht weniger sorgfältig
bearbeitet, schließen sich an. Ferdinand Eichwede hat auf
diese Tatsache bereits 1904 aufmerksam gemacht und
die richtige Schlussfolgerung gezogen: Die östlichen Teile
sind vor den westlichen errichtet worden, sie sind mithin
die älteren.
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Nehmen wir nun den Ostbau in den Blick, den architek­
tonischen Höhepunkt des Bauwerks. Aufgrund seiner
Vielteiligkeit und gleichzeitigen Verdichtung von Einzel-
baukörpern – Kuben und Zylindern – präsentiert er sich
als eigenständiger Teilkomplex. Erst auf den zweiten Blick
– und den Grundriss zur Hand – erschließt sich der
unmittelbare Zusammenhang mit dem Langhaus. In der
Verlängerung des Mittelschiffs schiebt sich das Presbyte-
rium, der Chorbaukörper, nach Osten vor. Bei den flankie-
renden Nebenchören handelt es sich um nichts anderes
als die östlich der Querarme weitergeführten Langhaus­
seitenschiffe. Die tiefen Winkel zwischen Querarmen und
Presbyterium schlagen oberhalb der Traufen unvermittelt
ins Positive um – die schrägen Dachflächen geben den
qua­dratischen Unterbau des Glockenturms frei. Erst da­
rüber wechselt der Grundriss zum Oktogon. Aus der
Vierung emporwachsend beherrscht der mächtige Bau-
körper mit seinem steil in den Himmel aufragenden Helm
die gesamte Anlage. An allen Seiten öffnen sich große
rundbogige Schallfenster mit eingestellten Biforien. Den
oberen Abschluss bildet ein Figurenfries, bei dem es
sich um eine Ergänzung des 15. Jahrhunderts handelt.
Als ein dem Rund angenähertes Bauteil tritt der Vierungs-
turm in Beziehung zur großen Halbtrommel der Haupt­
apsis, die sich zweigeschossig an die hohe Giebelseite
des Presbyteriums anlehnt. Flügelartig wird diese beglei-
tet von den Fronten der Chorseitenschiffe, die um ein
ge­rin­ges Maß zurückgesetzt sind. Dicht an die Au­ßen­
kanten des Hauptbaukörpers herangerückt, treten die
Ne­benapsiden nur wenig aus der Wandfläche hervor.
Während die Pultdächer bis in die Höhe des oberen
Abschlus­ses der Hauptapsis ansteigen, reichen die Ap­si­
diolen mit ihren Traufen gerade halb so hoch. Nur un­
vollständig können sich die Querhausapsidiolen neben
den Außenwänden der Chorseitenschiffe entfalten. Doch
was zu Tage tritt, ist exakt so breit wie die Seitenschiff­
pendants – nichts ist hier dem Zufall überlassen!
Ostbau