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Z u r O r t s b e s t i mm u n g v o n B a u u n d B a u s k u l p t u r
Frühzeitig publizierte Auffassungen zur Genese und Bau­
geschichte der 1135 gestifteten Abteikirche haben auch
ihre Einordnung in das Ganze der romanischen Kunst und
Architektur des 12. Jahrhunderts bestimmt. Dies zeigt die
knappe, aber aufschlussreiche Beschreibung der Kirche
im zweiten, 1858 publizierten und der
„Architektur des
romanischen Styles”
gewidmeten Band der dreibändigen
Geschichte der Baukunst von Franz Kugler. Königslutter
wird dort im Zusammenhang mit jenen Bauten der
„sächsischen Lande”
besprochen, die
„neben den Ei­
genthümlichkeiten der Detailbehandlung
[…]
zugleich
einiges besondre in der baulichen Disposition”
aufweisen.
Kugler weist darauf hin, dass die Ostteile dieser Bauten
durch die
„Anordnung von Seitenschiffräumen zu den
Seiten des Chores”
ausgezeichnet sind, eine Anlage,
„die den abgeschlossenen Charakter des Chores aufhebt
[und]
ihm ein näheres Wechselverhältnis zu dem archi­
tektonischen Systeme des Schiffes giebt
[…],
sie führt
im Aeusseren zu einer reicher gruppirten Absidenanlage,
besonders wenn auch die Querschiffflügel die Anlage von
Absiden an ihren Ostwänden behalten
[…].
Die Säulen­
basilika bleibt zwar noch in Anwendung; aber die Pfeiler­
basilika tritt ihr in häufigeren Beispielen zur Seite, theils
in schlichtester Strenge, theils in gegliederter Durch­
bildung, dies letztere in der Schlusszeit des Jahrhunderts.
Auf dem Grunde der Pfeilerbasilika entfaltet sich das Gesetz
der gewölbten Basilika und seine Durchbildung zum
gleichfalls gegliederten System.” 
1
Kugler zählt Königslutter zur Gruppe jener
„Pfeilerbasili­
ken”
, deren
„mit Abseiten
[Seitenschiffen]
versehene
Choranlage”
sich zu einer
„bedeutenden künstlerischen
Wirkung”
gestaltet habe:
„So bei der Kirche der im Jahr
1135 gestifteten Benediktinerabtei Königslutter, im
Braunschweigischen. Im Langschiff ist auch sie noch
eine völlig schlichte (erst zu Ende des 17. Jahrhunderts
überwölbte) Pfeilerbasilika; im Chor steht der Mittelraum
mit den Seitenräumen durch stattliche Arkaden, von je
einem Pfeiler mit davorstehender Säule, in Verbindung,
und es sind sämtliche Theile desselben (mit Einschluss
derer des Querschiffes) überwölbt, mit zierlich schlanken
Ecksäulchen als Gewölbediensten. Ebenso ist das ma­
lerisch gruppirte Aeussere des Chores durch edle Aus-­
stattung, rundbogige reich sculptirte Friese u. dergl.,
entsprechend belebt. Es scheint, dass das Langschiff der
Epoche der Stiftung des Klosters, der Chor einer gegen
Ende des 12. Jahrhunderts stattgefundenen Erneuerung
angehört.”
2
Obwohl aus heutiger Sicht gar manches zu ergänzen und
zu korrigieren blieb, waren mit Kuglers
Geschichte der
Baukunst
genau jene Gesichtspunkte und Fragen ange­
sprochen, die seither die Diskussion bestimmen sollten:
die Grundrissbildung, die Wölbung, die Bauskulptur und
die aus diesen Faktoren resultierende zeitliche Einordnung.
Dass er sich in diesem Zusammenhang für eine Spät­
datierung der Ostteile
„gegen Ende des 12. Jahrhunderts“
ausgesprochen hatte, ist bis in die Gegenwart ein Thema
kunst- und baugeschichtlicher Diskussionen geblieben.
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Halberstadt, Chor der Liebfrauenkirche