Di e mi t te l a l ter l i che K i rche im Braunschwe i ger Land
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Verkehrung der Jagdverhältnisse, wo ein Jäger von zwei Hasen anscheinend besiegt
wird.
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Ein Theologe möchte sich beim Thema „Spiegelschrift und Spiegelbild“ an ein
Wort des Apostels Paulus erinnert fühlen. Dazu meinte Johan Huizinga: „Es gibt keine
große Wahrheit, deren der mittelalterliche Geist gewisser war, als jener des Wortes an
die Korinther: ‚Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber
von Angesicht zu Angesicht‘ (1 Kor 13,12).“
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Woher rührt das Interesse an der linken Hand Christi in der mittelalterlichen Kunst
des Braunschweiger Landes? Auf diese Frage gibt die Theologiegeschichte eine Ant-
wort. Bei Papst Gregor dem Großen (gest. 604), der an den Anfang der mittelalterli-
chen Kirchengeschichte gehört, gilt der Segen mit der linken Hand der irdischen und
mit der rechten Hand der himmlischen Kirche. Ähnliche Erklärungen finden sich bei
dem Engländer Beda (gest. 735) und bei Rupert von Deutz (gest. 1129). Dafür ließen
sich wahrscheinlich noch weitere Theologen anführen.
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Diese Unterscheidung von
linker und rechter Hand Christi möchte dem Kenner der Theologiegeschichte wie
eine Rückschau auf die Zwei-Reiche-Lehre des Kirchenvaters Augustin und wie eine
Vorschau auf die Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers erscheinen: Gott regiert die Welt
zur Linken durch die weltliche Gewalt und zur Rechten durch das geistliche Amt, wel-
ches den Weg zum Reich Gottes weist.
Nun gab es auch im Zeitalter Heinrichs des Löwen einen Theologen, Honorius Au-
gustodinensis (gest. um 1151) genannt, dem die Symbolik von rechter und linker Hand
bekannt war. Dieser Honorius stammt jedoch nicht, wie der Name meint, aus dem
westfränkischen Autun, sondern aus England, wo er Schüler des Anselm von Canter-
bury war. Seine letzten Jahre verbrachte Honorius als Mönch im bayerischen Regens-
burg. Das sind Länder mit Beziehungen zum Welfenhof, und tatsächlich soll die weit-
verbreitete mittelhochdeutsche Ausgabe seines Buches „Erleuchtung“ eine
Auftragsarbeit Heinrichs des Löwen gewesen sein.
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Dieser „Lucidarius“ ist ein theo-
logischer Ratgeber für den einfachen Klerus. Neuerdings wird die These vertreten,
dass der deutsche Lucidarius erst unter den Söhnen des Löwen in Braunschweig ent-
standen sei, vielleicht unter Heinrich, dem Pfalzgrafen bei Rhein (1173-1227), der
doch „mit kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tod seinen Wohnsitz in Braun-
schweig“ hatte.
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Auch dieser Sohn des Löwen war in der Stiftskirche St. Blasii bestat-
tet worden. In der Homiliensammlung des Honorius „Speculum ecclesiae“ findet sich
eine Pfingstpredigt über die Sieben Gaben des Heiligen Geistes (Jes 11,1-2) mit dem
Ziel, diese Gaben auch heute wirksam zu wissen. Dabei wird ihre Präfiguration im sie-
benarmigen Leuchter des Alten Testamentes (2. Mose 25) erläutert. Das alles liest sich
wie ein Kommentar zum Leuchter im Braunschweiger Dom und zum Pfingstbild im
Welfenevangeliar. In seinem Hoheliedkommentar schreibt Honorius, dass sich die lin-
ke Hand Gottes auf das erfüllte Leben im Diesseits beziehe und die rechte Hand das
ewige Leben bezeichne (zu Hohelied 8,3 und Spr. Sal. 3,16).
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Die im Krönungsbild