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Hans-Jürgen Enge l k i ng
durchkreuzt wurden und im-
mer wieder Enttäuschungen
und Ängste hervorriefen.
Die neuen von Liberalen und
Sozialisten vorgetragenen
Ideen mit dem Ziel der Eman-
zipation des Menschen aus
den überlieferten (kirchli-
chen) Traditionen, boten in
einer Zeit heftiger gesellschaft-
licher Umbrüche und der Lo-
ckerung traditioneller familiä-
rer Beziehungen und religiöser
Bindungen Orientierung jen-
seits der bislang als unumstöß-
lich geltenden traditionellen
gesellschaftlichen und religiö-
sen Normen.
Aufkommende Zweifel an Of-
fenbarungscharakter und
Wahrheit der biblischen Bot-
schaft fanden ihre Verstärkung
und Bestätigung durch die
moderne (darwinistische) An-
thropologie und die aufkom-
mende historische Bibelkritik. Der gesellschaftliche Wertewan-
del, der sich vor dem Hintergrund der skizzierten fundamentalen
Veränderungen in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesell-
schaft vollzog, ließ die Anschauung von Welt und Religion, die re-
ligiösen Einstellungen und Traditionen nicht unberührt und stell-
te sie folgenreich in Frage.
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Zusammen mit den anderen christlichen Kirchen musste sich die
Landeskirche der „Moderne“ stellen: dem Durchbruch des Indus-
triekapitalismus, dem Wandel des Obrigkeitsstaates zum weltan-
schaulich neutralen Verfassungsstaat und dem (Struktur-)Wan-
del in der Gesellschaft mit ihren veränderten Werten und
Normen. Als „Staatskirche“ musste sie ihr Verhältnis zum säkular-
paritätischen, weltanschaulich neutralen Staat klären und die
Abb. 1:
Charles Darwin
(1809-1882),
Karikatur zu seiner
Anthropologie,
Fotonachweis:
ullstein bild, 00210945