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Die Brakteatenprägung im 12. und 13. Jahrhundert
inf lationäre Verringerung des Gewichts und des Feingehalts der Münzen im Laufe der Jahre lässt sich
bei den Braunschweiger Brakteaten des 12. Jahrhunderts nicht feststellen.
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So bleibt Vieles, was über
ihre chronologische Einordnung geschrieben wurde, unsicher. Dies gilt auch für die zeitliche Ein-
ordnung der so genannten ‚Hochzeitspfennige’ Heinrichs des Löwen.
Weil auf den Brakteaten des ‚zweiten Hochzeitspfennigs’ (Abb. 27)
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die
Brustbilder eines Mannes und einer Frau, jeweils mit Zepter, dargestellt
sind, wurden sie allgemein als Gedenkmünzen auf die zweite Heirat
Heinrichs des Löwen mit der Königstochter Mathilde von England inter-
pretiert.
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Die Heirat fand am 1. Februar 1168 im Dom von Minden statt.
Die Hochzeit wurde anschließend in der Stadt Braunschweig gefeiert.
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Doch ist der Bezug der Münzen auf dieses Ereignis nicht gesichert. Das
Münzbild kann ebenso gut ganz allgemein die Herrschaft des herzoglichen
Paares zur Schau stellen, eines Paares, das sich auch auf anderen Braunschweiger Denkmälern, etwa
dem berühmten Evangeliar, als Nachfahren von Königen und Kaisern präsentierte.
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Reiner Cunz hat
zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kleinheit der Köpfe, bei denen kaum zu erkennen ist, ob es sich
um Mann oder Frau handelt, eher an eine beiläufige Aussage des Bildes denken lässt und nicht an die
politisch wichtige Heiratsverbindung der Welfen mit dem englischen Herrscherhaus.
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Ein Herrscher-
paar mit Lilienzepter kommt auch auf Brakteaten Friedrich Barbarossas vor, die in Frankfurt oder
Gelnhausen geprägt wurden.
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Dort nimmt im Unterschied zu den Braunschweiger Brakteaten das
Paar fast das gesamte Münzbild ein. Wenn der Braunschweiger ‚Hochzeitspfennig’ nur einen Topos
der damaligen Brakteatenkunst übernommen hat, könnten die Münzen dieses Typs auch wesentlich
später als zur Hochzeit 1168 geprägt worden sein.
Ein zweiter Typ von ‚Hochzeitspfennig’, der im Schatzfund von Bourg-Saint-Christophe im
französischen Department Ain auftauchte und zuvor nur in einem Bruchstück aus dem Fund von
Duderstadt bekannt war, zeigt den Löwen in einer ähnlichen Architekturumrahmung, aber nach
rechts gerichtet. Die beiden Brustbilder erscheinen bei diesem gröber geschnittenen Typ in Seiten-
ansicht über zwei Bögen.
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Die Deutung jener offenbar älteren Münze als ‚erster Hochzeitspfennig’
aus Anlass der Vermählung Heinrichs des Löwen mit Clementia, Tochter Herzog Conrads von Zäh-
ringen, im Jahre 1148 ist ebenso wenig gesichert wie die Verbindung des oben abgebildeten ‚zweiten
Hochzeitspfennigs’ mit der zweiten Eheschließung 1168.
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Eine sichere Abgrenzung der Brakteaten, die zu Lebzeiten Heinrichs des
Löwen entstanden sind, von denen seiner Söhne und Nachfolger ist nicht
immer möglich. Besonders umstritten ist die Datierung einer Gruppe von
Brakteaten, die zwei Löwen in einer Architekturumrahmung zeigen.
108
Paul
Jonas Meier hatte einst die Münzen mit den Doppellöwen der Münzstätte
Bremen zugewiesen
109
; heute ist zu Recht Braunschweig als Münzstätte all-
gemein anerkannt.
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Die auf einigen der Brakteaten (Abb. 28)
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zu lesenden
Buchstaben gehören zu einer Trugschrift, die keinen Sinn ergibt.
Fiala
112
dachte, dass es sich bei den Brakteaten mit Doppellöwen um eine Gemeinschaftsprägung
der Söhne Heinrichs des Löwen bis zur Erbteilung von 1202 handelt, weil er auf einem der Brakteaten-
typen zwei Löwen, die gemeinsam ein Zepter hielten, erkennen wollte (Abb. 29)
113
. Wenn die Löwen
aber für die Söhne Heinrichs stünden, hätte man drei erwartet. Es gibt zudem
ältere und jüngere Brakteatentypen mit dem doppelten Löwen, die zeigen,
dass nicht alle Münzen mit dieser Darstellung in den gleichen Zeitraum ge-
hören.
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Setzt man die Brakteaten mit Doppellöwen alle an die Wende vom
12. zum 13. Jahrhundert und datiert sie als Gemeinschaftsprägungen der
Söhne Heinrichs des Löwen aus der Zeit nach dessen Tod 1195, müsste man
den Vergrabungszeitpunkt des ersten Schatzfundes von Mödesse, der eine
Abb. 27:
Heinrich der Löwe, Brakteat
(‚zweiter Hochzeits-
pfennig’), nach 1168,
Münzstätte Braunschweig.
– Silber. 0,82 g. 33mm. –
Städtisches Museum
Braunschweig Inv.-Nr.
40017.
Vorderseite:
+
OIEO LEOEL DVX
HEINRICS O LEO A
(= Herzog Heinrich der
Löwe); Mauer mit drei
Zinnentürmen und großem
Torbogen, darin Löwe nach
links schreitend. Über der
Mauer links weibliches
Brustbild von vorn, rechts
männliches Brustbild von
vorn, jeweils mit Lilien-
zepter.
Rückseite:
ungeprägt.
Abb. 28:
Heinrich der Löwe?,
Brakteat 1142-1195?,
Münzstätte Braunschweig.
– Silber. 0,64 g. 30mm. –
HAUM Inv.-Nr. 193a/4.
Vorderseite:
+
ETNPISIED.V.
ISNPEOEPNDV.PIEOE; auf
einer Mauer zwei einander
zugewandte Löwen, die
Köpfe frontal, dazwischen
Säule, darüber vierfacher
Bogen und drei Türme.
Rückseite:
ungeprägt.
Abb. 29:
Heinrich der Löwe?,
Brakteat 1142-1195?,
Münzstätte Braunschweig. –
Silber. 0,74 g. 31mm. –
HAUM Inv.-Nr. 193a/5.
Vorderseite:
+
OEISCVNSPEIXPENCIEN
NEOE; auf einer Mauer mit
kleinem Tor zwei einander zu-
gewandte Löwen, zwischen
ihnen ein Kreuzstab, darüber
dreifacher Bogen und fünf
Kuppeltürme.
Rückseite:
ungeprägt.