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V
Die Räume des Schlosses
und
die kassettierten Pfeiler an der Fensterwand mit
ihren feinen Bandelwerkmalereien (~1720).
Ursprünglich zierten 29 Wirkteppiche die baro-
cken Appartements des Schlosses, davon hingen ver-
mutlich vier Exemplare (zwei große, zwei kleinere)
im Audienzzimmer. Drei großformatige Bildteppiche,
die nicht zum originalen Bestand zählen, erinnern
heute an die ursprüngliche Ausstattung. Die Wand-
bespannung wurde 1998 analog zu den ursprünglich
roten Damaststoffen der Bezüge auf Sitzmöbeln und
Vorhängen an den Fenstertüren rekonstruiert. An
der Schmalseite des Raumes, den Fenstern gegen-
über, befand sich ein „Daiz“ (Thronbaldachin) aus
karmesinrotem Samt. Wie in der Antichambre ge-
hörten Armlehnsessel, Lehnstühle und Tabourets zur
beweglichen Ausstattung. Dazu kam ein Ensemble
aus Spiegel, Tisch und zwei Guéridons, das seinen
Platz zunächst vermutlich zwischen den Fenstern
fand, später jedoch an einer der Langseiten des Ge-
machs aufstellt wurde. Ein weiterer, schwer vergolde-
ter Spiegel hing über dem Kamin. Sessel, Stühle und
Tabourets wurden entlang der Wände aufgereiht. Der
im Inventar von 1736 aufgeführte Spieltisch kann
durchaus schon zur Ausstattung der Jahre 1705 bis
1710 gehört haben, denn ein ganz ähnlicher Tisch
befand sich um 1705 auch in Schloss Lietzenburg
(Charlottenburg) bei Berlin im Audienzzimmer von
Königin Sophie Charlotte, zu der Herzog Anton
Ulrich freundschaftliche Beziehungen unterhielt.
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Abgesehen von auswärtigen Besuchern, Ge-
sandten und Mitgliedern der fürstlichen Familie
gestattete man lediglich den Geheimen Räten,
dem Kanzler und ausnahmsweise auch Hofkaval-
lieren ins Audienzzimmer zu treten. Neben König
Friedrich Wilhelm I. von Preußen und dessen Sohn
Friedrich II., die hier persönlich ihre Aufwartung
machten,
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ist bezeugt, dass u.a. Gesandte aus
Frankreich, den Niederlanden, aus Dänemark, vom
Wiener Kaiserhof, aus Brandenburg-Preußen, Sach-
sen, Hannover, Hessen und Ostfriesland in der
Chambre d’audience beim Herzog vorsprachen.
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Außer für Audienzen und Visiten wurde dieser
Raum von den Herzögen bei besonderen Anlässen,
insbesondere bei Besuchen gleichrangiger oder rang-
höherer ausländischer Herrscher, als Konferenz- und
Tafelgemach genutzt, und während der abendlichen
„Appartements“ gab man hier auch Konzerte für die
Hofgesellschaft.
V.2.2
Das Audienzzimmer
Die Appartements von Herzog und Herzogin sind
spiegelsymmetrisch als Appartement double ange-
legt. Das zwischen den Appartements liegende Ess-
gemach (Venussaal) übernimmt dabei die Funktion
einer Spiegelachse. Analog zum Herzoginnenappar-
tement und zum Essgemach befinden sich die Türen
des Herzogappartements ebenfalls auf der Fenster-
seite, hier nach Norden gerichtet, dort nach Süden
schauend. Damit ist ein Richtungswechsel der soge-
nannten Enfilade (Reihung der Türen) verbunden, die
im Herzogappartement jedoch erst vom Übergang
der Antichambre zur Chambre d’audience wirksam
wird. Auf diese Weise wird die Antichambre mit dem
Essgemach und das Audienzzimmer mit dem Para-
deschlafzimmer verbunden. Den Point de Vue der
herzoglichen Enfilade bildet der Kamin im Parade-
schlafzimmer.
Durch drei Fenster, die wie in der Antichambre
zu Fenstertüren erweitert wurden, nachdem man
1714/15 eine Galerie vorgelagert hatte, fiel Licht in
den tiefrechteckigen Raum. Eine unsichtbare Tape-
tentür greift die Enfilade des Essgemaches auf und
führt zu einer schmalen Verbindungsgalerie, die ein
weiteres zweiräumiges Appartement erschließt.
Aus der ersten Bauzeit um 1690 stammt die von
Giacomo Perinetti nach einem Entwurf von Johann
Oswald Harms geschaffene Stuckdecke. In der glei-
chen Phase entstanden auch das Deckenfresko von
Tobias Querfurt, der kassettierte Dielenboden sowie
die hölzernen Türgewände. Die Motive der reich mit
Akanthuslaubwerk verzierten Stuckdecke bergen ei-
nen Hinweis auf die ursprüngliche Nutzung des Ge-
machs: Die Büsten eines antiken Herrschers (Caesar)
und einer barbusigen Schönheit (Cleopatra) sind als
Portraits von Herzog Rudolf August und seiner zwei-
ten Gemahlin Madame Rudolfine (Elisabeth Rosine
Mente) zu verstehen. Das Deckenfresko zeigt eine
Allegorie auf „den Triumph des Welfenhauses über
die unterworfene Stadt Braunschweig“ und spielt da-
mit auf die Belagerung und Einnahme Braunschweigs
im Jahre 1671 an. Der Hofmaler Tobias Querfurt ließ
sich bei der Komposition des Bildes unverkennbar
von Paolo Veroneses (1528-1588) Bild „Der Triumph
Venedigs“ aus dem Jahr 1589, das sich im Venezia-
nischen Dogenpalast befindet, anregen.
1
Ein weite-
res Vorbild Querfurts war eines der Deckenbilder in
den Kurfürstenzimmern des Berliner Stadtschlosses
von Jacques Vailland (1625-1691), „Fortitudo“ (Tap-
ferkeit), aus dem Jahr 1680.
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Die intarsierten Türge-
wände und Türblätter sowie die Paneele, deren erste
Farbfassung 1998 restauriert werden konnte, gehö-
ren der zweiten Bauzeit (1705-1712) an. Aus einer
dritten Bauphase stammte der Kamin (um 1714/15)
►
Abb. 110
Spiegel-Tisch-
Guéridons-Ensemble
im Audienzgemach
des Herzog-
appartements
,
Schloss Wolfenbüttel
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Abb. 109
Audienzzimmer des
Herzogappartements
,
Schloss Wolfenbüttel