Seite 10 - Voigtlaender+Sohn

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„Herrn Voigtländer in Wien ist es gelungen, in der kurzen Zeit von
45 Sekunden bei starker und von ein bis zwei Minuten bei schwacher
Beleuchtung vollkommene Lichtbilder darzustellen. Die Verkürzung der
Zeit gestattet nun, die Darstellung von Portraits durch das Daguerreo-
typ, denn vierzig Sekunden lang kann wohl Jedermann, ja selbst eine
Jede des liebenswürdigen, beweglichen Geschlechtes sich still und unbe-
weglich halten. Von den zwei Voigtländer’schen Portraits, welche diese
Mittheilung veranlaßten, und welche die Größe von Miniaturbildchen
besitzen, ist das einer Dame das mehr gelungene. Beide aber sind von
der wunderbarsten Wirkung und gewähren den Eindruck, den das
absolut Wahre und Getreue eines solchen Bildes hervorrufen muß.
Man kennt die Originale nicht, allein beim Anblick ihrer Bilder ist
man versucht, sie anzureden, oder man erwartet jeden Augenblick, daß
sie selbst die feinen Lippen öffnen, oder die Augen bewegen werden.
Diese Letzteren sind vollkommen wiedergegeben, das Weiße, das
Schwarze und wieder das weiße Pünktchen im Schwarzen. Kennerinnen
werden an dem Anzug der Dame die Stoffe unterscheiden und schätzen
können, und beim Betrachten des Spitzenkragens mit einem Vergröße-
rungsglas ganz zuverlässig aburtheilen können, ob die Spitzen brüsseler
oder sächsische Erzeugnisse sind, ob sie gewirkt oder geklöppelt, oder
gehäkelt, gestrickt etc. sind.“
II
Die vorliegende Arbeit ist der erste Band eines auf zwei Teile ange-
legten Projektes, das die Geschichte der braunschweigischen Photoindu-
strie untersucht. Sie stellt den Versuch dar, Antworten auf folgende Fra-
gen zu geben: Wie entwickelte sich das Handwerksunternehmen
Voigtländer & Sohn zu einem weltweit bekannten Großunternehmen
der optischen Industrie? Wie reagierte das Unternehmen auf Verände-
rungen in seiner politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Umwelt? Wie entwickelten sich zentrale betriebliche Handlungsfelder?
Welchen Einfluß hatten ein Wechsel in der Unternehmenspitze auf die
Ausrichtung der Firmenpolitik? Wie regelte das bis 1898 als eigner-
geleitetes geführtes Familienunternehmen die Nachfolgefrage? Warum
wurde das Unternehmen 1898 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt?
Welche Formen und Funktionen hatte die betriebliche Sozialpolitik, und
konnte das Unternehmen die damit verbundenen Zielsetzungen er-
reichen?
Die Beantwortung dieses kurz skizzierten Fragenkatalogs steht und
fällt mit der Quellenlage. Die Grundlage der Arbeit bildet das Werks-
archiv von Voigtländer & Sohn, das sich seit 1972 im Stadtarchiv
Braunschweig befindet. Leider hatte das Unternehmen viele Geschäfts-
unterlagen nicht aufbewahrt, so daß nicht alle Fragen in der gewünsch-
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