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Auch die Braunschweiger Firma Büssing beantragte 1944 eine Zuteilung von KZ-
Häftlingen beim Wirtschaftsverwaltungshauptamt in Berlin-Oranienburg.
Diese im Jahre 1903 von Heinrich Büssing gegründete Firma produzierte schon seit
1908 indirekt Militärausrüstung, den so genannten Subventionswagen: Die Militärver-
waltung zahlte Prämien an alle Firmen, die bei Büssing Lastkraftwagen kauften, wenn sie
sich verpflichteten, innerhalb von fünf Jahren nach Erwerb die Lastkraftwagen im Falle
der Mobilmachung an die Armee zu übergeben. Dieses Prämiensystem war nichts ande-
res als eine finanzielle Förderung der Büssing-Produktion. Durch Umstellung auf aus-
schließliche Rüstungsproduktion während des Ersten Weltkriegs hatte das Unternehmen
große Gewinne erzielt. Ende der 1920er Jahre testete die Firma auf einem geheimen
Übungsplatz der Reichswehr bei Kasan an der Wolga neue Geländewagen.
Auf Veranlassung des Reichsluftfahrtministeriums gründete Büssing 1935 die Nieder-
sächsischen Motorenwerke (NIEMO) in Braunschweig-Querum. In dieser Fertigungs-
stätte wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Flugzeugmotoren von Daimler-
Benz in Lizenz hergestellt. In den Jahren 1939-1945 hat Büssing ca. 15.000 Lastkraft-
wagen für die Wehrmacht produziert.
Im Jahre 1944 wurden ca. 7.250 ausländische Zivilarbeiter (darunter ca. 1.500 Polen)
und Kriegsgefangene bei Büssing und den Niedersächsischen Motorwerken beschäftigt,
die ca. 55 % der Belegschaft beider Firmen bildeten. Ausländische Zivilarbeiter und
Kriegsgefangene wurden dazu in verschiedenen Lagern im Stadtgebiet kaserniert, so in fol-
genden Lagern: „Kralenriede“, „Rühmerberg“, „Schunter-Siedlung“, „Mascherode“,
„Schützenplatz“ und „Dietrich-Klagges-Stadt“
3
. Die Zahl der in- und ausländischen
Beschäftigten reichte jedoch nicht aus, um das Soll an geforderten Rüstungsaufträgen zu
realisieren.
Als das Wirtschaftsverwaltungshauptamt die Zuteilung von KZ-Häftlingen geneh-
migt hatte, begann die Firma Büssing, das Lager in Braunschweig einzurichten. Als
Lagerstandort wurde die Wörthstraße, die heutige Schillstraße bestimmt. Sie lag in Fuß-
wegnähe zu den Arbeitsstätten in den Büssingwerken und zugleich in Sichtweite zum
Divisionsstabsgebäude
4
. Alle Arbeiten wurden von der „Baukolonne“ ausgeführt, die am
17. August 1944 aus dem Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg in Braun-
schweig eintraf. Das Außenlager Schillstraße war Neuengamme unterstellt. Diese Bau-
kolonne bestand insgesamt aus 126 Neuengamme-Häftlingen, unter ihnen 74 franzö-
sische Widerstandskämpfer, die im Frühjahr 1944 im Süden Frankreichs verhaftet und
im Juli 1944 nach Neuengamme überstellt worden waren, außerdem 42 Russen, Letten
und Esten sowie acht Deutsche und zwei Polen
5
. Die deutschen Häftlinge, ausnahmslos
verurteilte Kriminelle, übernahmen im Lager die Funktionen der Kapos
6
.
Bis Ende Oktober 1944 war die Baukolonne im Lager „Mascherode“ (eingerichtet
3
Karl
Liedke
, Gesichter der Zwangsarbeit. Polen in Braunschweig 1939-1945. Braunschweig 1997, S. 63.
4
Ebd., S. 108.
5
Georges
Salan
, Prisons de France et bagnes allemands. Nimes 1946, S. 131. Es war der erste Hinweis zur
Anwesenheit der Franzosen in der Schillstraße, denn es sind keine Quellen zu diesem Thema vorhanden.
6
Bekannt sind die Namen von vier von ihnen: Edwin Franz (deutscher Zigeuner), Rudolf Knabke, Hermann
Giesen (ehemaliger Boxer) und Hans Wittling, in: Aussage des ehemaligen Häftlings Michal Guminer am
7.12.1945 vor der Polizei in Braunschweig, in StA WF 62 Nds Fb. 2, Nr. 445 (künftig WF Nr. 445). Michal
Guminer, geb. 1920, arbeitete im Ghetto Lodz bei der Post, er sprach fließend deutsch, wodurch er das
Lagerleben in der Schillstraße genau beobachten konnte.