Seite 43 - Der_unendliche_Faden

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Friedrich von Veltheim (1824–1896), – ebenfalls Oberhof­
jägermeister wie sein Vater und ab 1872 Mitglied und
später Präsident des Landtages – von seinen Cousins den
Familiensitz Destedt übertragen bekam, weilte Charlotte
auch öfter dort (Abb. 9 u. 10).
Was aber bewegt ein 16jähriges Mädchen dazu, noch vor
Eintritt in die Volljährigkeit, sich für ein Klosterleben und
gegen eine Heirat oder anderweitige Lebensträume zu
entscheiden? Hatte sie – als älteste Tochter aus bestem
Hause – keine anderen Wünsche und Sehnsüchte als die-
jenigen einer Klostervorsteherin? Sicherlich fällt solch eine
Lebensentscheidung nicht am Beginn des 21. Jahrhunderts,
sondern in der Mitte des 19. Jahrhunderts, einer Zeit also,
die den Frauen kaum Gestaltungsspielräume für ein selbst­
bestimmtes Leben ließ, geschweige denn die Möglichkeit
bot, ein Gymnasium zu besuchen oder gar zu studieren.
Im Jahre 1909 schrieb die mittlerweile 77jährige Charlotte
rückblickend auf ihr Leben:
„Ich denke noch mit etwas Grauen an den Zustand, in
­welchem ich das jetzt von mir so sehr geliebte Kloster fand,
bei meinem Einzug im Herbst 1862, an die schmutzige,
dürftige Verkommenheit der Conventualin, die damals ganz
allein hier noch vegetierte u. mit der ich dann zusammen
lebte bis sie nach 6 Jahren 92 Jahre alt starb. Meine
Hauptbeschäftigung: der Kampf mit
[dem]
durch Jahr-
zehnte aufgehäuften Schmutz, Schutt u. Unrat u. mit bösem
Getier, wie Marder, Ratten, Spinnen etc. Meine Vorgängerin,
eine Veltheim aus Beienrode
[...]
hatte bis zu ihrem Tode
1846 hier gelebt, ihre Interessen lagen aber außerhalb des
Klosters. Zwei Jahre später 1848 wurde [ich], als damals ein-
zig erwachsene Veltheim ohne Sang u. Klang, ohne kirchliche
Feier u. Einkleidung vom Kreisdirektor von Hohnhorst hier
eingeführt u. hielt mich deshalb von Harbke aus, einige
Stunden hier auf. Die von der Domina benutzten u. ihr
­zukommenden Stuben, erschienen mir so unwirthlich u.
­unschön als möglich. Ich bewohnte sie jedoch von 1862
bis zum Tode der alten Conventualin 1868.
[...]
Von den 6,
ordnungsmäßig zum Kloster gehörenden, Konventualinnen
habe ich einzelne nie gesehen u. kennen gelernt, auch
­solche nicht, die gewählt und ernannt wurden, wie ich
Abb. 7
Die drei Schwestern,
Nathalie, Charlotte und
­Louise von Veltheim
um 1850.
Abb. 8
Louise von Veltheim
als Domina, Anfang 20. Jahr-
hundert.