Seite 49 - Der_unendliche_Faden

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Margaretenbehang I, ausschließlich figürliche Szenen bei
Margaretenbehang II) (Abb. 5 u. 6). Die heilige Margarete
war in religiösen Frauengemeinschaften von großer Be-
deutung, konnte sie doch mit ihrer Glaubens­festigkeit und
der Verteidigung ihrer Jungfräulichkeit ­geradezu als Ideal-
vorbild dienen. Variantenreichtum der eingesetzten Stick-
techniken und Materialien weisen die Margaretenbehänge
als hochrangige Stücke mit wohldurch­dachter Konzeption
aus.
Noch ein weiteres Stück sei genannt, um die Bandbreite der
textilen Möglichkeiten zu demonstrieren, die in St. Marien-
berg angewandt und ­beherrscht wurden. Aus der Mitte
des 15. Jahrhunderts stammt die sog. Tuchdecke Anna
Selbdritt (Abb. 7). Auf ein schwarzgrundiges Wolltuch
wurde mit bunten Seidenfäden (Figuren) und vergoldeten
Lederstreifen (Konturen) das Bild der sogenannten Anna
Selbdritt aufgestickt. Die heilige Anna mit ihrer gekrönten
Tochter Maria und dem Jesuskind auf dem Schoß sitzt auf
einem weit ausladenden Thron unter einer prächtigen
Abb. 7
Tuchdecke
„Anna Selbdritt“
,
Mitte 15. Jahrhundert,
Seidenstickerei mit Konturie-
rung durch Lederstreifen.
Archi­tektur und wird umgeben von musizierenden Engeln.
Gerahmt wird die Darstellung von einer vielfarbigen Wein-
rankenbordüre. In diesem ungewöhnlichen Stück, das seine
ursprünglich sehr farbenfrohe Wirkung durch den Verlust
ungezählter Seidenfäden, besonders bedauerlich bei den
Gesichtern, verloren hat, spiegelt sich die intensive Annen-
verehrung des späten Mittelalters wieder, die nachgewiese­
nermaßen auch in St. Marienberg praktiziert wurde.
Die meisten anderen der noch erhaltenen St. Marienberger
Textilien stammen aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.
In dieser Zeit erfuhr das Stift durch die Durchführung der
sogenannten Windesheimer Reform einen belebenden
­intellektuellen Aufschwung. Diese geistig-kulturelle Blüte­
zeit hat demnach auch auf das Gebiet der Textilkunst
ausgestrahlt. Seit der lutherischen Reformation finden
sich in St. Marienberg keine Spuren der Textilproduktion
mehr. Lediglich vier Pallen, auf hohem handwerklichen
Niveau gearbeitet, sind aus der Zeit des Rokoko erhalten
geblieben.