Seite 113 - Fallersleben

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Hoffmann-Stadt Fallersleben in der Hitler-Zeit
Spaten, Gummiknüppeln, Stahlruten, Schulter­
riemen“
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– wie die SPD einige Tage später in einem
in der „Aller-Zeitung“ veröffentlichten Leserbrief be­
hauptete – mit 130 Mann in den Saal eindrangen, um
die Veranstaltung u.a. durch Sprechchöre „Nieder mit
Remarque!“ und „Wir sind da!“ zu stören. Einige
NSDAP-Aktivisten beschädigten außerdem die Lein­
wand. Die von der SPD herbeigerufene Polizei in Stärke
von vier Beamten untersagte „zur Vermeidung eines
Blutbades“ die Aufführung des Films, woraufhin SPD-
Anhänger und rechte Störer den Saal verließen und
sich die Menge später zerstreute.
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Tags drauf führte die SPD, unterstützt durch Ab­
ordnungen ihres Wehrverbandes „Reichsbanner“ aus
Gifhorn und Vorsfelde, eine Protestkundgebung durch.
Eine Sprechergruppe wurde zu Bürgermeister Wolgast
entsandt, um den mangelnden Polizeischutz und das
Vorführungsverbot zu rügen. Der Protestzug führte
weiter durch die Stadt; an den Häusern von sozial­
demokratischen Bürgervorstehern fanden Kund­
gebungen statt.
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Am 19. Januar 1933 bestimmte ihrer­
seits die NSDAP, unterstützt durch die SS-Standarte 17
aus Vorsfelde, mit 400 SA- und SS-Männern das
Straßenbild.
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Es herrschte mithin eine Pattsituation, in der die
noch bestehende Rechtsstaatlichkeit den National­
sozialisten Grenzen setzte, etwa indem Bürgermeister
Wolgast die Forderung nach einem Aufführungsverbot
des Antikriegsfilms unter Hinweis auf fehlende Rechts­
grundlagen abwies. Zugleich stand der Bürgermeister
aber auch nicht auf der Seite der Republikverteidiger,
wie der fehlende Polizeischutz und die Veranstaltungs­
auflösung zeigten. Zwar erhob die Staatsanwaltschaft
beim Landgericht Hildesheim im Februar 1933 gegen
insgesamt 13 Beschuldigte, darunter die Fallersleber
NS-Aktivisten Fritz Schwarz und Gustav Schonert, An­
klage wegen Landfriedensbruchs.
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Das Verfahren
wurde jedoch nach der Etablierung der NS-Diktatur
eingestellt, „da die Straftat im Kampfe für die nationale
Erhebung des deutschen Volkes bzw. zu ihrer Vor­
bereitung begangen wurde“.
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Nazifizierung der Kommune
Mit der Machtübertragung an Hitler versetzte am
30.  Januar 1933 Reichspräsident Paul von Hindenburg
der Weimarer Republik den letzten Stoß.
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Mit einem
spontanen Umzug durch die Stadt am 31. Januar 1933
feierten die Hitler-Anhänger auch in Fallersleben die
Zeitenwende.
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Die Ernennung eines „Kabinetts der
nationalen Konzentration“ unter Einschluss von DNVP-
Politikern mochte gerade auch in Fallersleben als
hoffnungsfrohes Zeichen einer rechten Einheitsfront
gegen Krise und Kommunismus aufgenommen worden
sein, wie beispielsweise am 15. Februar 1933 die Be­
teiligung des Stahlhelms und der Scharnhorst-Jugend
an der Abholung der neuen Fahne des SA-Sturms
2/232 Fallersleben nahelegt. NSDAP-Ortsgruppenleiter
Schonert bezeichnete in seiner Ansprache die gemein­
sam marschierenden Stahlhelm-Mitglieder und Natio­
nalsozialisten als „aufbauwillige Kräfte, die unter
keinen Umständen dulden werden, dass die zerstöre­
rischen Kräfte in Deutschland die Oberhand“ be­
kamen.
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Dass nach dem Aufzug der Hakenkreuzfahne auf
dem Schlossturm am 24. Februar 1933 dann am 2. März
1933 von dort auch die Flagge des Jungstahlhelms
wehte,
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bot einen lokalen Vorgeschmack auf die „Ver­
schränkung von traditionalen und faschistischen
Führungsgruppen“ bei der Etablierung des NS-Systems.
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Während andernorts an den Rathäusern die NS-Symbole
erst nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 auf­
gezogen wurden,
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ließ die Stadtverwaltung die Fahnen
unangetastet, was weniger auf die Kapitulation vor der
Gewaltandrohung als vielmehr als Ausdruck der
Sympathie für die NS-Bewegung interpretiert werden
kann.
Das politische Klima dominierten die National­
sozialisten, so dass am 28. Februar 1933 die „Aller-
Zeitung“ mit der Überschrift „Fahnen heraus!“ dazu auf­
forderte, dass jede „nationale Familie“ im Landkreis
Gifhorn „Hakenkreuz und Schwarz-Weiß-Rot“ flaggen
sollte.
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Die Nachricht vom Reichstagsbrand radika­