Seite 114 - Fallersleben

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„… ganz gut davon gekommen“
CHRISTIANE SCHRÖDER
Angst, Unsicherheit, Erleichterung: Unter alliierter
Besatzung
Am Morgen des 11. April 1945 endete für Fallersleben
der Zweite Weltkrieg. Gegen sieben Uhr früh kündigte
sich mit einigen Schüssen eine schier endlose Kette
amerikanischer Panzer und Räumfahrzeuge an, die
den ganzen Tag über auf ihrem Weg von Westen in
Richtung Elbe durch die Stadt rollte.
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Die schweren
Ge­fährte zerstörten Straßen und Gehwege. Eine
Schmie­de wurde eingefahren, durch Beschuss gingen
zwei Scheunen in Flammen auf und etliche Fenster­
scheiben zu Bruch.
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Einige Amerikaner durchsuchten
– wie in allen eingenommenen Ortschaften – Häuser
und öffentliche Gebäude nach deutschen Soldaten,
Waffen und Munition und holten den Volkssturm, das
letzte Aufgebot der Nationalsozialisten aus noch nicht
an die Front eingezogenen männlichen Jugendlichen
unter 16 Jahren, kriegsuntauglichen Männern sowie
SA-Männern zur Verteidigung der Heimatfront, aus
dem Amtsgerichtsgebäude.
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Einige der notdürftig uni­
formierten Jugendlichen setzten sie als Kugelfänger
auf ihre Panzer, einige Männer arretierten sie vorüber­
gehend in einem Vorgarten. Tragischerweise forderte
die Besetzung drei deutsche Todesopfer.
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Freudig begrüßt wurden die Amerikaner nicht.
„Angst …, Unsicherheit“ waren die prägenden Gefühle,
erinnert sich die 1928 geborene Fallersleberin Marlies
Heine, deren Eltern in der Marktstraße einen Ge­
mischtwarenladen betrieben. „Einesteils war man froh,
einesteils war man auch entsetzt, dass alles so ausge­
gan­gen war, dass der Krieg verloren war. Wir sind ja
so erzogen worden.“ In der Familie ihres einstigen Mit­
schülers Werner Appe, Jahrgang 1929, herrschte „Er­
leichterung, dass die Angst vor Bombenangriffen
vorbei war, Erleichterung auch darüber, dass in Fallers­
leben nicht gekämpft worden ist, ja, und natürlich
„… ganz gut davongekommen“
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– Vom Kriegsende ins Wirtschaftswunder
Angst: Was wird aus uns? Haben wir Arbeit? Kriegen
wir zu essen? Die Sorgen waren da.“
Die amerikanischen Truppen ließen etwa hundert
Mann als Besatzungsmacht zurück und beschlag­
nahmten Dutzende von Häusern zu Wohn- und Arbeits­
zwecken. Innerhalb weniger Stunden mussten die Be­
wohner Unterschlupf bei Verwandten und Freunden in
der Stadt oder in Schulräumen suchen. Manchmal
durften sie ihr Mobiliar beiseite räumen, in der Regel
nur das Notwendigste im Koffer mitnehmen. Für die
Dauer der Requirierung durften die Bewohner ihre
Wohnungen nur zweimal wöchentlich für eine Stunde
betreten, vorhandenes Vieh und die Nutzgärten jedoch
uneingeschränkt versorgen. Durch einen ständigen
Austausch der amerikanischen Soldaten, der wahr­
scheinlich die streng verbotene Fraternisierung mit
durchsetzen sollte, wurden ständig Wohnungen hier
neu beschlagnahmt, dort wieder freigegeben.
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Alles
folgte einem aufwendigen bürokratischen Verfahren,
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das bei Rückgabe der Wohnungen auch eventuell ent­
standene Schäden genau auflistete.
Von ihrer im Haus Grimme im Hofekamp ein­
gerichteten Stadtkommandantur aus erteilten die Ame­
rikaner ihre Anweisungen, die die Stadtverwaltung
unter ihrem „Burgomaster“ Otto Wolgast prompt um­
zusetzen hatte.
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Vordringlichste Aufgabe war, die Stadt
zu entmilitarisieren und für Recht und Ordnung zu
sorgen. Kurzzeitig erlegten die Besatzer den Fallers­
lebern ein striktes Ausgehverbot auf und durchsuchten
die Häuser nach verborgenen Waffen.
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Alle Waffen –
auch Sammlerstücke – und Munition mussten bei An­
drohung der Todesstrafe abgegeben werden.
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Um mög­
liche Angriffe aus dem Hinterhalt zu unterbinden,
bestand bis weit in den Sommer hinein eine Ausgangs­
sperre während der dunklen Nachtstunden.
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Das Leben in der Stadt war zunächst gelähmt. Die
Telefonleitungen und damit auch der Kontakt zu den
oben:
Marlies Heine.
unten:
Werner Appe.