Seite 13 - Fallersleben

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Fallerslebens Geschichte im Überblick
fruchtbarem Ackerland zu werden. Jahrhunderte
gingen die Bauern hinterm Pflug. Als die Industria­
lisierung kam und mit ihr das Bevölkerungswachstum
und der Kalorienhunger, der nach modernen Nahrungs-
mitteln rief, konnten hier Zuckerrüben angepflanzt
werden.
Im Norden Fallerslebens verblieb als Denkmal der
eiszeitlichen Naturgeschichte ein Urstromtal. Sandig,
eben und feucht, blieb es unbesiedelt bis in jüngste Zeit.
Andere Zeiten, anderes Zusammenspiel zwischen Natur
und Zivilisation: Die große Leere bildete für die Ver-
kehrsplaner des 19. und 20. Jahrhunderts die ideale
Trasse des Mittellandkanals. Und als die deutsche
Diktatur in den 1930er Jahren auf Standortsuche für
ein Industrialisierungsprojekt größten Ausmaßes ging,
da gaben unter anderem der Verkehrsweg Kanal und
der riesige Baugrund im Urstromtal den Ausschlag. Das
Volkswagenwerk steht dort, bis heute ein atem-
beraubendes Monument der Industriezivilisation. Aber
nicht weit davon sind unverbaute Teile des Aller-Ur-
stromtals erhalten geblieben als von der EU geschützte
„Natura 2000“-Gebiete. Vom Glockenberg Fallerslebens
geht der Blick in das weite, vom eiszeitlichen Schmelz-
und Flusswasser geschaffene Urstromtal. Und weiter
nördlich schließt sich die Geest an, eine von sandigen
und lehmigen Ablagerungen der verschiedenen Eis-
zeiten geprägte Landschaft.
Land und Herrschaft:
Das „Alter“ Fallerslebens in
Erdzeitdimensionen nachzurechnen scheint kein
Problem zu sein. Viel schwieriger hatten es die Forscher,
als sie auf die Suche nach Quellen für die genaue
Datierung der Anfänge der Siedlung in historischer Zeit
gingen. Urkundlich erwähnt wird Fallersleben zuerst
als Ualareslebo in einer Schenkungs-Urkunde König
Ottos. Fast ein Jahrhundert stritten die Gelehrten
darüber, wann das Dokument wirklich ausgestellt
worden ist. Dabei gibt es keinen Zweifel, dass der Ort
viel älter ist als sein erstes Auftreten im Licht der ge-
schriebenen Geschichte um die Mitte des 10. Jahr-
hunderts. Denn die Verbreitung der Ortsnamen mit
dem Bestandteil „Leben“ geschah in der späten Völker-
wanderungszeit. Die Forschung hat einen ostfälischen
Stamm der „Warnen“ im Blick, der mit den „Lebens“-
Orten eine Spur hinterlassen habe. Wobei es beim
„Leben“ nicht ums lebendige Sein geht, sondern ums
„Erbe“. Der Fleiß der mittelalterlichen Urkunden-
schreiber spiegelt die viele Jahrzehnte dauernde
Karriere Fallerslebens von der „villa“, dem „dorp“ zur
„civitas“. Spätestens seit dem Jahre 1371 gab es eine
Burg, später ein landesherrliches Schloss. Der Platz
wurde damit ein politischer Raum sui generis – nicht
Stadt im rechtlichen Sinn der Stadtrechtsverleihung,
mit der Tendenz zur Unabhängigkeit und Expansion,
aber auch nicht mehr weltenferne Bauernsiedlung. Was
uns an anderen Orten einen Begriff von der mittelalter-
lichen Fassung einer Siedlung geben kann, der Kirchen-
bau, ist in Fallersleben leider wegen der Abrissfreude
des 19. Jahrhunderts nicht erhalten. Dennoch wissen
wir aus den Archiven um die viele Jahrhunderte
gültigen Koordinaten des Lebens. Die wirtschaftliche
und politische Realität in Fallersleben unterschied sich
nicht von der agrarischen Welt in ganz Mitteleuropa.
Bauernland war Herrenland, im Lehenswesen auf
niedrigere Stufen des Adels übertragen, der als Grund-
herr die Spielregeln bestimmte und durch „Ämter“ öko-
nomische und soziale Macht ausübte. Das Muster von
„Land und Herrschaft“ blieb im Großen über Jahr-
hunderte konstant. Im Detail aber erweist es sich im
Raum Fallersleben als ewig wechselndes Puzzle, das
nur Spezialisten erklären können. Alles ist hier ein
wenig unübersichtlich, weil sich Lehensrechte ver-
schiedener Herrschaften überlappten: Die Interessen
der Erzbischöfe von Magdeburg, des Bischofs von
Hildesheim und der Welfenherzöge stießen aneinander.
Bis ins 14. Jahrhundert behaupteten sich die Grafen
von Wohldenberg in Fallersleben, die von den Staufern
im Einvernehmen mit dem Erzbischof von Magdeburg
eingesetzt worden waren. Seit Anfang des 14. Jahr-
hunderts zeigten die welfischen Herzöge zunehmend
mehr Interesse an diesem Gebiet. Aber in verwickelter
Gemengelage beanspruchten auch die Bischöfe von