Seite 76 - Fallersleben

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August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
Und zu dieser freundlichen, modernen Seite passt, dass
man beim Lesen dieser Seiten den Eindruck gewinnt,
die Leute in Fallersleben, zumal der Bürgermeister,
hätten bereitwillig kollaboriert, gar fraternisiert: Man
feierte zusammen, gab sich gegenseitig Bälle, der
Canton-Maire stand bei den Franzosen in hohem An­
sehen. Er konnte „viel Schlimmes abwenden und viel
Gutes veranlassen.“ Die jungen Leute in Fallersleben
führten „Die Räuber“, Schillers von Sturm und Drang
und Freiheitspathos durchwehtes Stück auf, und der
bewunderte ältere Bruder spielte eine Rolle darin.
Die Kehrseite der Fremdherrschaft sah man, als die
politische Lage mit der Kontinentalsperre und der Vor­
bereitung des Russlandfeldzuges wieder angespannter
wurde. Geheimpolizei, Spitzelwesen und Zensur hatten
„mehr Eingeborne als Fremde unter ihren Helfern“, und
bald saß der Bürgermeister zwischen allen Stühlen,
kein Wunder, dass er bei der Rückkehr der hanno­
verschen „Junker- und Zopfherrschaft“ sein Amt zur
Verfügung stellte, obwohl er sich nichts vorhalten
lassen musste. Sein Sohn hatte die Lektion gelernt: Als
der Amtmann Frank 1815 die jungen Männer Fallers­
lebens in die letzte Schlacht gegen Napoleon schicken
wollte, brauchte Hoffmann nicht zu überlegen: „Ich,
Herr Amtmann? Für die schöne Regierung (er meint
die hannoversche) werde ich meine Haut nicht zu
Markte tragen“. Er wollte „lieber gegen die inneren als
äußere Feinde kämpfen.“ Vieles was er später getan,
gesagt, geschrieben hat, wird verständlich, wenn man
seine Fallersleber Jugendjahre kennt.
Gleich nach seiner Konfirmation, am 7. April 1812
schickte ihn sein Vater auf das Pädagogium in Helm­
stedt. Die Fallersleber Bürgerschule, deren Rector
übrigens später sein Schwager und noch später sein
Schwiegervater werden sollte, hatte ihm nichts mehr
zu bieten gehabt. Nach zwei Jahren galt das auch für
die Helmstedter Anstalt und er wechselte an das Braun­
schweiger Catharineum. Im Jahr darauf verließ er die­
se Schule „citius“, vorzeitig, wie das „Album Alumno­
rum“, die Liste der Zöglinge, festhält, um zur Universität
zu gehen. Einer Abschlussprüfung hat er sich also nicht
unterzogen, das staatliche Abitur gab es zu der Zeit ja
auch erst in Preußen. Aber das schon erwähnte
Schülerverzeichnis bescheinigt ihm, er sei „ingenio
praestanti“, von herausragender Intelligenz gewesen.
Und er erinnerte sich noch im Alter dankbar zweier
Lehrer, Dr. Petri und Dr. Wolf, deren Unterricht in
lateinischer und deutscher Sprache und Literatur
leidenschaftlich und zugleich streng war und die wohl
auch seine dichterischen Anfänge wohlwollend, aber
zugleich kritisch begleiteten. In die Braunschweiger
Zeit fallen auch seine ersten Veröffentlichungen,
patriotische Lieder im Körnerschen Ton, was nicht
überraschend ist angesichts der allgemeinen Be­
geisterung wegen des Sieges über Napoleon und der
Trauer über den dabei gefallenen Herzog von Braun­
schweig.
Mit 20 Talern in der Tasche zog er im April 1816
auf die Universität Göttingen, um das vom Vater ge­
wünschte Brotstudium der Theologie aufzunehmen,
ohne Begeisterung und wohl auch ohne die Voraus­
setzungen dafür zu erfüllen, weil er auf der Schule ver­
säumt hatte, sich in das Hebräische einführen zu lassen.
Es dauerte nicht lange, bis er seinem Vater den Wechsel
zur Philologie mitteilte, wobei ironischerweise sein
Patenonkel, selber Pastor, die letzten Zweifel des
jungen Studenten ausgeräumt hatte. Überhaupt kann
man sagen, dass Göttingen damals mehr negative als
erfreuliche Erfahrungen für ihn bereithielt: Die zurück­
gekehrte hannoversche Adelsherrschaft zeigte sich
zum Beispiel darin, dass adligen Studenten die besten
Plätze in den Hörsälen reserviert waren. Studentisches
Leben wurde nicht von den modernen, national ge­
sonnenen Burschenschaften, sondern von den alten
Landsmannschaften geprägt. Den meisten Professoren
spricht er jegliches Lehrgeschick ab. Folglich, und das
spricht für ein erhebliches Selbstbewusstsein, machte
er sich selbst einen Studienplan und „philistrierte“ von
Ostern bis Michaelis 1817 zu Haus in Fallersleben, das
heißt er las und ,excerpierte’ ganze Abschnitte aus für
ihn wichtigen Werken und war sicher, damit mehr zu
erreichen, als wenn er in schlechten Collegia säße. Nur