Seite 77 - Fallersleben

Basic HTML-Version

185
Eine biographische Skizze
über eine Einrichtung der Georgia Augusta war er un­
eingeschränkt begeistert, die Universitätsbibliothek.
Sie hat ihm die ganze Weite geistigen Lebens eröffnet,
reich ausgestattet, mit gefälligen Beamten und einer
großzügigen Benutzerordnung. Ihr verdankte er „mehr
… als der theueren Heftweisheit der Göttinger Profes­
soren“.
Er passte so richtig in das Bild vom armen studiosus:
Da die wirtschaftliche Lage der Familie in Fallersleben
immer angespannter wurde, floss die finanzielle Unter­
stützung des Vaters immer spärlicher. Der Sohn machte
Schulden, ernährte sich vierzehn Tage nur von Erd­
beeren, ließ sich auf einer seiner langen Reisen zu Fuß,
beim Mundraub in einem Zwetschgenbaum an der
Chaussee ertappen und wurde von Bauern mit ihren
Hunden gehetzt. Reisen, das ist ein Leitmotiv dieses
Lebens: Fallersleben – Helmstedt – Braunschweig –
Göttingen – Jena – Kassel – Magdeburg – Bonn – Leiden
– Amsterdam – Berlin, diese Strecken bewältigte er
damals zu Fuß, und auch wenn er das später als könig­
lich preußischer Professor nicht mehr nötig hatte, es
verging bis zu seinem Tode kein Tag, an dem er nicht
tüchtig marschiert wäre.
Lesend, Briefe schreibend und reisend, so knüpfte
er ein Netz von persönlichen Beziehungen, das ein
Leben lang unter ihm gespannt war und auch hielt, als
Preußen ihn 1843 ohne Gehalt ins Nichts fallen ließ,
weil seine Lieder das politische System allzu wirkungs­
voll herausforderten. Persönliche Freundschaften, die
von jungen Männern an den deutschen Universitäten
zwischen Wartburgfest und Hambacher Fest ge­
schlossen wurden, waren beinahe unausweichlich vom
Geist politischer Aufmüpfigkeit geprägt, allzu ent­
täuscht war man über die nicht eingehaltenen Ver­
sprechen nach den Befreiungskriegen, allzu wütend
über das sich ausbreitende Spitzelwesen, mit dem das
alte System seine Macht verteidigte. In der gerade ent­
stehenden Germanistik verbanden sich Politik und
Wissenschaft, weil sie einen deutschen Nationalstaat
und nicht Bayern oder Sachsen, Preußen oder einen
anderen von den nun 39 deutschen Staaten im Blick
hatte. Auch hinter Jacob Grimms Frage „Liegt Ihnen
Ihr Vaterland nicht näher?“, mit der Hoffmann 1818 in
Kassel für die Germanistik gewonnen wurde, stand
also ein politisches Programm.
Mit der Suche nach einem Ziel für sein Leben war
es danach schlagartig vorbei. Er ging auf die neu­
gegründete preußische Universität in Bonn, versuchte
mit Privatunterricht und einer Hilfsbeschäftigung an
der Universitätsbibliothek, für die es einen Freitisch
gab, seine angespannte finanzielle Situation aufzu­
bessern, kassierte auch schon mal erste Autoren­
honorare, zum Beispiel als er für die Bonner Studenten
ihr Commersbuch herausgab und eine erste Sammlung
seiner Gedichte „Lieder und Romanzen“ veröffentlichte.
Zum ersten Mal war er verliebt. Gretchen hieß sie und
war die Tochter seines Poppelsdorfer Zimmerwirts.
Bezeichnenderweise fiel bei dieser Liebelei nebenbei
eine Sammlung der von Gretchen und ihren Freun­
dinnen gesungenen Lieder ab. Er begann, überall nach
alten Drucken und Handschriften zu suchen. Auf ein­
mal war der rastlose Sammler und Forscher da. Als
Aushilfskraft an der Universitätsbibliothek war er an
Die Universitätsbibliothek in Göttingen zu
Hoffmanns Zeit.