Seite 88 - Fallersleben

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Voller Tradition
Voller Tradition: Handwerk und Gewerbe vom ausgehenden 18. bis in das 20. Jahrhundert
WERNER STRAUSS
Einführung
„Handwerk hat goldenen Boden“, so liest es sich keines­
wegs, wenn man die Entwicklung von Handwerk und
Gewerbe in der vorindustriellen Phase am Beispiel
Fallersleben betrachtet. Es sicherte meist kargen Lebens­
unterhalt, der oft nur durch die zusätzliche Verdingung
als Tagelöhner oder durch die nebenerwerbsmäßige
kleine Landwirtschaft gesichert werden konnte. Der
Flecken Fallersleben war im 18. Jahrhundert Mittelpunkt
und Sitz eines Amtes, der untersten Landesbehörde, um­
geben von 17 Amtsdörfern, zu denen teilweise eine reich­
liche räumliche Entfernung bestand, wenn man sich zum
Beispiel den dazugehörigen Hasenwinkel betrachtet. Um
die Mitte des 18. Jahrhunderts lebten in Fallersleben ge­
schätzt etwa 1.000 Einwohner, verlässliche Zahlen er­
laubten erst die beginnenden Volkszählungen Anfang
des 19. Jahrhunderts. Neben der Domäne existierten
relativ wenige landwirtschaftliche Betriebe. Vier Acker­
höfe und zehn Halbspänner bildeten etwa Mitte des
18. Jahrhunderts die bäuerliche Schicht in Fallersleben.
Verglichen mit den 92 Handwerksmeistern zum selben
Zeitpunkt zeigt sich sehr deutlich, welcher Wirtschafts­
bereich den Flecken dominierte.
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Das Gewerbespektrum
wurde unter anderem noch komplettiert durch vier Kauf-
und Handelsleute und Kornhändler, neun Krämer und
drei Krüger.
Die Landwirtschaft und der Bedarf zum Lebens­
unterhalt der Bewohner waren die Dreh- und Angel­
punkte im produzierenden Gewerbe, im Handwerk und
Handel in den ländlichen Bezirken. Die Erwerbs- und
Gewerbestruktur in Fallersleben unterschied sich im
untersuchten Zeitraum nicht nur von der Zahl der Be­
triebe her gleichwohl deutlich von der in den um­
liegenden Dörfern. Dies kann sowohl im 18. Jahr­
hundert als auch um die Mitte des 19. Jahrhunderts an
einer Reihe von Beispielen gezeigt werden, angefangen
vom Apotheker, der zugleich den Weinhandel betrieb,
über ausdifferenziertes Bauhandwerk mit Schlossern,
Dachdeckern und Maurern, bis hin zu eher exotischen
Handwerkssparten wie Hutmacherei. Bis weit in das
19. Jahrhundert hinein war die handwerkliche Wirt­
schaft geprägt von der Zunftverfassung. Statuten,
Regeln, Gewohnheiten lenkten das wirtschaftliche Ver­
halten der in Gilden korporierten Fallersleber Hand­
werker in bestimmte Bahnen.
Bereits zu Zeiten der in Fallersleben residierenden
Herzogs-Witwe Clara zu Braunschweig und Lüneburg
wurden in Fallersleben Jahrmärkte „zur Befurderung
gemeines Nutzes“ eingeführt. So legte die von der
Herzogin 1573 eingeführte Marktordnung fest, dass
pro Jahr drei Jahrmärkte, der erste 14 Tage nach
Ostern, der zweite am Sonntag nach Laurentii, der
dritte 14 Tage nach Martini stattfinden sollten. Bei den
ange­botenen Waren galt das Prinzip beabsichtigter
Handelsfreiheit, denn es waren jegliche „fahrende
Habe“, Kramgut und Korn auf den Märkten in Fallers­
leben zugelassen.
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Diese Markttradition hielt sich über
die Jahrhunderte, lediglich die Ausrichtungstage
wechselten schließlich in der neueren Zeit vom Sonntag
auf Werktage, wie Montag oder Mittwoch. Das ge­
währte Marktrecht war letztlich ein weiteres Status­
symbol städtischer Bedeutung des Fleckens und hob
Fallersleben auch auf diese Weise als Sitz des Amtes
und Flecken aus dem ländlichen Umfeld hervor.
Das Amt Fallersleben führte als Verwaltungsinstanz
in seinem Amtsbezirk Anordnungen der vorgesetzten
Landes- und Regierungsbehörden hinsichtlich der Ge­
werbeüberwachung aus und regulierte und förderte
das Handwerk und Gewerbe im vorgegebenen Rahmen.
Akten des früheren Amtes Fallersleben sind deshalb
eine wichtige und aussagefähige Quelle, die Ent­