I. Kapitel
Sommer 1944:
Tod des Schmetterlings
Ein hohes schwarzes Eisentor und dichte Hecken schützten diesen
Ort, der magisch genug war, das Gedächtnis noch Jahrzehnte später
zu verzaubern und – zu verschrecken. Es ist der Garten meiner
Kindheit. Ich habe diesen Braunschweiger Garten 30 Jahre lang bei
Sonne und im Gewitter erlebt, im Schneeflockenwirbel und auch in
jenen wirren Kriegstagen, als die bis zum Dach mit Glyzinen
umrankte Villa meiner Eltern nach einem Bombenangriff bis in den
Keller hinab ausbrannte. Es blieben nur vier rußgeschwärzte
Außenmauern mit Fensterhöhlen, die aussahen, wie traurige Augen.
Doch in meiner Erinnerung ist ebenso eine Episode verwurzelt, die
schließlich zu diesem Buch führte. Es war die Begegnung mit Bert-
hold Heilig, dem höchsten NSDAP-Repräsentanten Braunschweigs.
Dieser Moment lebt in mir. Seit Jahrzehnten. Unauslöschlich.
Jener Sommer 1944 brachte den Menschen in Deutschland ganz
plötzlich eine unerwartete Atempause von den ständigen Flieger-
angriffen der Amerikaner und Engländer. Der Grund war die Inva-
sion der Alliierten in der Normandie. Dort wurden alle Flugzeuge
gebraucht, so dass es vorübergehend im deutschen Luftraum etwas
ruhiger war. „Wie im Frieden,“ sagten die Menschen, wobei sich für
uns Kinder in diesem Wort Frieden etwas verlockend Fremdes,
etwas erstrebenswert Wohltuendes zu verbergen schien.
Mir wird immer rätselhaft bleiben, wieso mein Vater, der als Archi-
tekt an der „Heimatfront“ – wie es damals hieß – diente, ausge-
rechnet in jener heißen Kriegsphase vom Wilhelmitorwall 4 weg
überhaupt in dieses andere Haus in der Ferdinandstraße 4 gezogen
ist. Es lag zwar nicht mitten in der Stadt, aber doch dicht an einigen