Fabriken, die schon öfter das Ziel von Bombenangriffen gewesen
waren. Warum wählte er nicht ein Dorf oder wenigstens den
äußersten Stadtrand? Nun, gut: Er wollte dorthin, offenbar doch
wohl in der Überzeugung, diese Villa würde den Krieg überstehen.
Ein Irrglaube natürlich: Fünf Wochen nach unserem Einzug ver-
glühte das Haus am 5. August 1944, getroffen von drei amerikani-
schen Phosphorkanistern – „Napalm“ würde man heute sagen.
Als meine Mutter, meine Schwester und ich an jenem sonnigen
Sommertag aus dem Bunker an der Knochenhauerstraße kamen,
schlugen meterlange Flammenzungen aus dem Fenster meines Kin-
derzimmers. Meine Mutter setzte sich still weinend auf dem gegen-
überliegenden Bürgersteig nieder, und wenige Minuten später kam
der Nazi Rudolf Müller, ein Nachbar aus dem Haus Ferdinandstra-
ße 8, in blankgewichsten Stiefeln vorüber und schrie: „Sitzen Sie
hier nicht rum und gaffen. Helfen Sie lieber.“ Aber da gab es nichts
zu helfen. Kümmerliche Löschversuche mit einer Handpumpe und
Wasser aus der hinter dem Haus fließenden Oker erwiesen sich
angesichts der Glutwoge als völlig sinnlos. Die Feuerwehr hatte an
diesem Tag Wichtigeres zu löschen – die Rüstungsbetriebe.
(1)
So zogen wir am Abend in die Hofapotheke an der Schuhstraße 4, in
die Wohnung von Elisabeth Lambrecht, der besten Freundin meiner
Mutter. Zu tragen brauchten wir nichts. Alles war weg. Ich hatte nur
mein Bilderbuch „Schnatts abenteuerliche Reise“ unter dem Arm, in
dem ich im Bunker geblättert hatte. Und unser Hund „Jockel“ trot-
tete neben uns her. Er hatte im Kohlenkeller überlebt.
Das Zusammentreffen mit Berthold Heilig hatte ein paar Wochen
früher stattgefunden. Es war Anfang Juni 1944, an einem warmen,
sonnigen Sonnabendnachmittag. Meine Mutter, mein Vater und
meine Schwester arbeiteten in dem mit kniehohem Gras, mit mäch-
tig ausladenden Fliederbüschen und mit wuchernden Rosenstöcke
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I. Kapitel