da. Das burgundische Hofzeremoniell fordert seinen Tribut. Heinrich kennt
das schon. Unbekümmert, wie es seine Art ist, tritt er vor den gerade mal
zwanzigjährigen Monarchen.
Wie weißhäutig der um seine Adlernase und den auffällig hervortretenden
Unterkiefer, das lange, glatt rasierte Kinn ist! Aber die Augen Seiner Majestät
sind scharf und wachsam, die Miene ernst, dabei keinesfalls streng – urteilt
der Welfe, sichtlich erleichtert.
Um des Habsburgers Miene zuckt ein kaum merkliches Schmunzeln. Wahr-
haftig, ein baumlanger Kerl, dieser dunkelhaarige Nachfahre von Heinrich
dem Löwen! Das bärtige Antlitz gegerbt von Wind und Wetter, langnasig über
der wulstigen Unterlippe – ein Urgermane mit treuherzigem Blick, auf seine
Art nicht unsympathisch!
Karl pflegt bei solchen Gelegenheiten zu schweigen, sein Wohlwollen durch
Gesten auszudrücken. Langsam breitet er die Arme aus, einstudiert zum Zei-
chen huldreichen Empfanges. Heinrich legt einen schmalen, ledernen Einband
in die dargebotenen, schmalen Hände.
‘Sire,’ sagt er mit fester Stimme, ‘hier stehen wir Herzöge zu Braunschweig
und Lüneburg, euch unserer Treue zu versichern. Zugleich dringlich Hilfe zu
erbitten gegen unsere Feinde, die im Bunde mit Frankreich nicht minder die
Euren sind!’
Wohl überlegt, bedient er sich des Niederdeutschen – dem Flämischen ver-
wandt, das Karl von Kind an geläufig ist. Hochdeutsch versteht der – so wird
gesagt – noch wenig, nicht anders Spanisch. Als Herzog von Burgund an die
französische Zunge gewöhnt, soll ihm Latein hinreichend geläufig sein. Doch
darin kann sich Heinrich nur leidlich ausdrücken.
Die Lederhülle birgt ein Bündel von Schriftstücken. Der entscheidende Ein-
fluss des französischen Königs auf den Verlauf der Hildesheimer Fehde wird
daran noch einmal verdeutlicht. Heinrichs und Erichs Räte hatten tagelang an
der lateinischen Formulierung ihrer Eingabe gefeilt, den Gegner belastendes
Beweismaterial hinzugefügt.
‘Wir wissen, um was es sich handelt,’ entgegnet der Kaiser in schwer verständ-
lichem Flämisch, jedoch mit offenkundigem Wohlwollen. ‘Seid unseres Dan-
kes gewiss, Herzog Heinrich, und fürderhin ganz unbesorgt.’
Er winkt den hinter seinem Sessel stehenden Chevalier de Chièvres, Wilhelm
von Croy, zu sich heran, seinen Erzieher und ersten Rat. Der nimmt die Mappe
entgegen, beugt sich herab. Sein Ohr am Mund des Kaisers, lauscht er dessen
Geflüster. Keiner der Umständen bekommt auch nur ein Wort mit – Heinrich
schon gar nicht. Der Kaiser nickt ihm leutselig zu. Die Audienz ist beendet.
Noch weiß der nun doch verunsicherte Herzog nicht, was er davon halten soll,
als Wilhelm von Croy ihn beiseite nimmt.
‘Seine kaiserliche Majestät wünscht Euer Liebden einige vertrauliche Fragen
zu stellen – unter vier Augen. Ihr mögt euch auf die achte Abendstunde an der
Pforte zu den kaiserlichen Privatgemächern einfinden. Man wird euch von
dort geleiten.’
103
1520 bis 1523