Seite 59 - Herzog_Heinrich

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Erst hatte sich in der Landesstadt ein abtrünniger Mönch, Gottschalk Kruse, so
eindringlich vor dem Volk vernehmen lassen, dass ein großer Teil der Einwoh-
nerschaft an Papst und Kirche irre geworden war. Deren Bitten und Forderun-
gen nach Einführung der neuen Lehre hatte sich der Rat lange Zeit widersetzt.
Eingedenk der Ermahnungen des Herzogs, wie auch des Erzbischofs von
Mainz wäre man lieber beim alten Glauben geblieben. Dann hatten Sitzungen
stattgefunden, deren Ergebnis zu Gunsten einer vorläufigen Reformationsord-
nung ausgefallen war. Johannes Bugenhagen, ein Lieblingsschüler von Philipp
Melanchthon, hatte die evangelische Kirchenordnung für die Stadt Braun-
schweig verfaßt
.
Am 5. September 1528 war diese vom Rat und der ganzen Gemeinde ange-
nommen worden – wenige Tage vor des Herzogs Rückkehr nach Wolfenbüttel.
Die Nachricht trifft ihn wie ein Keulenschlag. Sofort bittet er Konrad Gossel zu
sich.
‘Was nimmt meine Stadt sich da heraus!’ schnaubt er. ‘Zu Speyer wurde nur
den Reichsständen das Recht zugestanden, in Glaubensfragen zu entscheiden.
Braunschweig ist keine reichsfreie Stadt! Da habe noch immer ich zu bestim-
men, der Landesherr!’
Gossel versucht, ihn zu beschwichtigen.
‘Bei allem guten Einvernehmen mit Euer Durchlaucht hat sich der Stadtrat
immer gegen eure Einmischung verwahrt. Das habt ihr klugerweise hinge-
nommen. Man wird euch schreiben, ihr möchtet vielmals verzeihen, aber
gegen das eindeutige Begehren der Bürgerschaft hätte man nichts ausrichten
können. Damit solltet ihr es gut sein lassen – des lieben Friedens willen. Was
bringt euch ein Streit?’
‘Soll ich auf mein Patronatsrecht verzichten?’ tobt Heinrich. ‘Die Stifter in
Braunschweig unterstehen allemal mir!’
‘Darauf nimmt der Rat auch Rücksicht. Nach der neuen Kirchenordnung hat
er lediglich das Recht zur Besetzung städtischer Pfarreien. Wir von Sankt Bla-
sien, Sankt Ägidien und dem Rennelberger Kreuzkloster finden keine Erwäh-
nung. Also können wir beim alten Glauben bleiben und unsere Geistlichen
weiterhin von euch benennen lassen.
‘Dennoch,’ hält Heinrich bockig dagegen, ‘werde ich nicht einlenken!’
‘Lasse Gnade vor Recht ergehen, ich bitte dich, mein Sohn,’ kehrt der Alte in
vertraulichem Ton den Seelsorger hervor, ‘und warte ab. Wenn die Obrigkeit
des Reiches einschreitet, wegen Bruch des Reichstagsabschiedes – –‘
Der Herzog nimmt sich vor, den weisen Rat zu beachten. Schuldet ihm Ferdi-
nand nicht Gegendienste? Ein Verbot der Reformation im Namen des Kaisers
kostet wenigstens keinen müden Heller! Brummend wendet er sich anderen
Dingen zu. An Unerfreulichem gibt es genug.
Davon kann auch der Kanzler ein Lied singen. Nicht nur, dass auch die Stadt
Goslar den Glaubenswechsel vollzogen hat. Ihrem Advokaten, dem gewieften
Dellinghausen, ist es gelungen, beim Kammergericht ein schwerwiegendes
Mandat gegen den Wolfenbütteler Herzog durchzudrücken. Zum ersten Mal
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1528 bis 1532