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Kapitel 1
Das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel
nach
1848
Zwar war in der Stadt Braunschweig und im Herzogtum von der Revolution im Jahre
1848 nur wenig zu spüren, doch waren die Beschädigungen der fürstlichen Souveränität
und Allmacht auch hier unübersehbar geworden. Die Berliner Vorgänge um Friedrich
Wilhelm IV. und dessen nachgiebiges Verhalten gegenüber den Revolutionären hatten
sich bis Braunschweig herumgesprochen und zeigten ihre Wirkung. Die herzogliche
Verwaltung gab sich liberal, versuchte jedoch insgeheim alle fortschrittlichen
Entwicklungen abzubremsen.
Beispielhaft erinnert sei in diesem Zusammenhang an das „Gesetz zur Aufhebung der
aus dem religiösen Bekenntnis entspringenden Ungleichheit” aus dem Jahre
1848
. Die
bisherigen guten Absichten des Staatsministeriums, die sich aus Art.
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des
Landtagsabschieds von
1823
und aus Art.
19
des Landtagsabschieds von
1832
ergaben,
waren bisher fast wirkungslos geblieben. Noch immer waren Juden in ihrer
Berufsausübung gehindert, bestand das Verbot einer Ehe zwischen Christen und Juden,
wie auch der sogenannte Judeneid, die Bekräftigung einer Aussage vor staatlichen
Stellen, lange Zeit sehr umstritten gewesen ist und erst
1845
angepasst
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wurde, allerdings
gegen den Widerstand der braunschweigischen höchsten Juristen. Die formale
Gleichstellung der jüdischen Bevölkerung, die im Stadtgebiet Braunschweig weniger als
1,0
% der Bürger
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ausmachte, war nun gegeben; allerdings verhinderte latenter Anti-
semitismus bei vielen einflussreichen Bürgern, auch bei Herzog Wilhelm selbst, dass
Juden im öffentlichen Dienst Karriere machen konnten. Ebeling
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weist darauf hin, dass
„die Juden unterhalb der gesetzlichen Ebene auf dem Verwaltungswege, mit
geschriebenen oder ungeschriebenen Regeln und Verordnungen an der tatsächlichen
Ausübung ihrer bürgerlichen Rechte” gehindert wurden. Bis zum Jahre
1908
habe es im
Herzogtum Braunschweig keinen jüdischen Richter und nur zwei jüdische Notare
gegeben. „Juden wurden von den Staatsämtern ferngehalten”, meint Ebeling, „hatten sie
den öffentlichen Dienst dennoch erreicht, so waren ihrer Karriere Schranken gesetzt. Das
war allgemein bekannt, der Anpassungsdruck war hoch. Ein Jude als Universitätslehrer
im Herzogtum Braunschweig ist mir ebenfalls nicht bekannt geworden. Juden taten
daher gut daran, sich gar nicht erst für den Staatsdienst zu bewerben.”
Auch im Zusammenhang mit der beginnenden Industrialisierung, mit der Bildung
einer organisierten Arbeiterschaft und einer wesentlichen Verbesserung der Verkehrs-