Seite 23 - Karl_und_Wilhelm_3

Basic HTML-Version

da offensichtlich Klärungsbedarf bestand. Immerhin hatten einige Zeitungen sogar
unterstellt, dass Preußen nicht nur das Königreich Hannover erobert habe, sondern
damit gleichzeitig auch das Erbrecht auf Braunschweig. Hiesige Juristen haben das
immer bestritten, weil das Erbfolgerecht nicht dem Lande, sondern dem Fürstenhause
und dessen Angehörigen zustehen würde.
Es war in Hannover nicht verborgen geblieben, dass in Braunschweig mit
zunehmender Diskussion gewisse Liberalisierungstendenzen zugunsten Preußens sich
verstärkten und auch im Rahmen der Eisenbahnverhandlungen mit Preußen über den
Bau der Strecke von Kreiensen nach Altenbeken hatten sich die Braunschweiger den
Wünschen des übermächtigen östlichen Nachbarn nicht verweigert, obgleich jedermann
wusste, dass Hannover die preußische Konkurrenz im Zusammenhang mit der eigenen
Ost-West-Verbindung fürchtete. Der österreichische Botschafter in Hannover, Fried-
rich Graf von Ingelheim, bedrängte
31
angesichts dieser Entwicklungen den König
Georg, die Übereinkunft mit Herzog Wilhelm über das gegenseitige Erbrecht der
welfischen Linie zu erneuern, um alle Zweifel auszuräumen. Auch Ludwig Windthorst,
einflussreiches Mitglied des Zentrums und Beauftragter der hannoverschen Welfen in
Berlin, hatte dem König eine gleichlautende Empfehlung
32
gegeben. Ein
entsprechender Vertrag
33
kam auch mit Datum vom
3.
März
1863
durch
Urkundenaustausch zustande und wurde durch Beschluss des braunschweigischen
Landtages vom
28.
Juni
1864
bestätigt.
Selbst Herzog Karl, Wilhelms Bruder, hatte in Paris von den Begehrlichkeiten
Hannovers und Preußens erfahren und wollte seine vermeintlichen Rechte am
Herzogtum an den preußischen König gegen eine sehr hohe Abfindung abtreten, wie in
einem Brief vom
29
. Juni
1869
seines früheren Kanzleidirektors Wilhelm Bitter
überliefert worden ist. (Vgl. Anhang
7.3
). Bitter, ein alter Braunschweiger, der Karl ins
Exil gefolgt war und, nachdem er sich mit dem Herzog zerstritten hatte, gemeinsam mit
seiner Frau eine Schule in England leitete, erhielt von diesem eine kleine Rente und
zeigte sich daher durch gelegentliche Weitergabe von Informationen an Karl
erkenntlich. Bitter hatte auf der Reise von Karlsbad nach Paris einen dreitägigen
Aufenthalt in Braunschweig eingelegt und schreibt dem Herzog nun über die
Stimmung in Braunschweig und über das dortige Gerücht, dass Karls Angebot an
Preußen von Bismarck brüsk zurückgewiesen sei, weil „die politischen Verhältnisse in
Deutschland jetzt von der Art seien, dass Braunschweig über kurz oder lang an Preußen
fallen müsse.” Allerdings hätte er auch in Erfahrung gebracht, dass nach Meinung des
„alten Amsbergs” Bismarck mit seinem Appetit auf Braunschweig vom König Wilhelm
von Preußen gebremst würde, weil dieser im Jahre
1848
auf seiner Flucht nach London
vom Herzog Wilhelm mit
60.000
Thaler unterstützt worden sei. Bitter berichtet weiter,
dass er den Eindruck gewonnen habe, die jüngeren Braunschweiger wollten Preußen
werden, die älteren dagegen wünschten „so lange als möglich angestammte Braun-
schweiger zu bleiben.”
Was wollte jedoch einer der Hauptbeteiligen, der Herzog Wilhelm von Braun-
schweig? Persönlich hatte er bessere Kontakte zum preußischen und österreichischen
Hof, als zum König Georg V. oder dessen Vater Ernst August. Nur selten besuchte er
die hannoverschen Könige in Herrenhausen und die Gegenbesuche hielten sich auch im
23