Seite 12 - Kirchenbuch

Basic HTML-Version

12
Prof. Dr. Fr i edr i ch Weber
eine vordergründige und leichtfertige Gleichsetzung von Landschaft, ehemaliger
Herrschaft und Kirche beantwortet wird. Sie schult darin, das wahrzunehmen, was
wir nicht sind, aber zugleich auch ernst zu nehmen, was wir meinen, überwunden zu
haben (Manfred Schulze). Sie tut dies, indem sie nicht Kirchengeschichte als „Helden-
geschichte“ entwickelt. Es ist in der Tat so, dass es auch in der Kirchengeschichte –
vor allem in Lehrbüchern für die Schulen – eine gewichtige Tradition gab und gele-
gentlich noch gibt, in der sie sich als Geschichte von bedeutenden Personen (Heilige,
Päpste, Reformatoren, Märtyrer) verstand und versteht. An diesem Konzept ist berech-
tigte Kritik geübt worden, weil es als Methode der „schwarzen Pädagogik“ zu verste-
hen sei. Man habe mit ihr beabsichtigt, durch die Beschäftigung mit dem Größeren,
Schwierigeren und „Erhabenen“ junge Menschen vor allem zur Demut anzuhalten.
Eine kritische Betrachtung der Jahrhundertfeiern zum Tage des Thesenanschlags
Martin Luthers würde ganz unzweifelhaft aufzeigen, zu welch unterschiedlichen –
auch politischen – Interessen der Reformator als „Held“ jeweils genutzt wurde. Dabei
hat man oft übersehen, dass auch die vermeintlich Starken und Heiligen, die „Helden“
der Geschichte ihre Schwächen und ihre Ambivalenzen ebenso wie ihre Stärken hat-
ten. Nur schade, dass von den „Verlierern“ in der Geschichte, den „Unbequemen“, so
wenig zu erfahren ist, denn gerade an ihrer Existenz lässt sich häufig aufzeigen, was
es heißt, als Christ im Alltag zu leben. Wichtig ist es, dass die „dunklen Stellen“ der Kir-
chengeschichte beleuchtet werden, denn die Glaubwürdigkeit ist immer auch verbun-
den mit der Frage der Verarbeitung oder Verdrängung der Geschichte sowohl bei Per-
sonenwiebei Institutionen. Zuletzt nocheinmal die Fragen:WarumKirchen­geschichte
und warum diese Kirchengeschichte? Kirchengeschichte kann man als kollektives
Gedächtnis verstehen. Jeder Mensch, der sich mit ihr beschäftigt, erfährt eine Auswei-
tung seines Glaubensbewusstseins, denn er lernt durch die Beschäftigung mit Perso-
nen und deren Verhalten in bestimmten Situationen deren Geistes- und Glaubenshal-
tung kennen und kann sie in Beziehung zu seinem eigenen Glauben und Denken und
Verhalten setzen. Dies gilt auch für die Arbeit und für die Entwicklung von Institutio-
nen. Vorhandenes Wissen kann so korrigiert werden, und neues Interesse an der von
der historischen Kirche herkommenden, in bestimmten Bereichen auf ihr aufliegen-
den, aktuellen Evangelisch-lutherischen Landeskirche kann geweckt werden. Dieses
Interesse kann sich auf ihre Gestalt, das heißt auf ihre Struktur und ihre institutionel-
le Form, vor allen Dingen aber auch auf ihren Grund, das heißt auf die den Glauben
weckende Botschaft beziehen.
Ich wünsche mir sehr, dass die jetzt vorliegende Kirchengeschichte beides leistet.
Dass sie Menschen, die in dieser Kirche leben, mit ihrer Kirche noch vertrauter macht
und ihnen deutlich werden lässt, warum etwas, was ist, so ist, wie es ist, und wo mög-
liche Veränderungspotentiale liegen, und dass deutlich wird, wie wertvoll die der Kir-
che durch die Jahrhunderte aufgetragene Botschaft des Evangeliums ist. Zu danken
hat die Landeskirche vor allen Dingen Frau Landeskirchenarchivrätin Birgit Hoff-