Seite 11 - Kirchenbuch

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heißt dies: Es ist von großer Bedeutung für die einzelnen Darstellungen unterschiedli-
cher Themen Braunschweigischer Kirchengeschichte, wer sich mit ihnen, warum
und mit welcher Absicht beschäftigt hat. Natürlich hat der Arbeitskreis zur Entwick-
lung des Werkes hier besonders intensiv diskutiert. Neben der Fachlichkeit der Mit-
arbeiter und Mitarbeiterinnen war und ist es von besonderem Interesse, deren Per­
spektive auf das jeweilige Thema kennen zu lernen. Für mich liegt darin der besondere
Reiz dieser Kirchengeschichte. Sie gewährt zwar keine unterschiedlichen Perspekti-
ven auf das je gleiche Thema, also z. B. auf die Kirchenmusik, das heißt, nicht ver-
schiedene Verfasser äußern sich zum selben Thema, wohl aber werden in der Summe
der Arbeiten der unterschiedlichen Personen die verschiedenen Zugehensweisen
und Sichten auf Themen, die in ihrer Gesamtheit Ausdruck der Geschichte der Braun-
schweigischen Landeskirche sind, erkennbar. Besonders interessant wird es dann,
wenn der Leser und die Leserin dieser Kirchengeschichte in der Standortgebunden-
heit der Autoren auch deren Parteilichkeit entdecken. Der große Historiker Leopold
Ranke konnte Ende des 19. Jahrhunderts noch feststellen, dass Unparteilichkeit mit
Objektivität gleichbedeutend sei. Unter Historikern ist diese These hoch umstritten.
Ich vermute, dass der Aspekt der Parteilichkeit nicht nur für die Darstellung des hoch
problematischen Weges der Landeskirche während der nationalsozialistischen Herr-
schaft gilt, sondern sich durchaus auch in weniger problematischen Themen nieder-
schlägt. Dies bedeutet, dass eine Vielzahl von Aussagen nicht „reine“ Geschichte
sind, sondern dass sich in ihnen die Sichtweise des jeweiligen Autors auch interpretie-
rend und wertend niederschlägt. Dies ist deswegen gut, weil es zu einer vitalen Ausei-
nandersetzung mit dem vorliegenden Text, den Thesen der Autorinnen und Autoren
und zur Motivation führt, sich nach sorgfältiger Information selber ein Urteil über das
jeweilige Thema zu bilden. Natürlich wäre es auch hoch interessant gewesen, die ein-
zelnen Themen von unterschiedlichen Autoren darstellen zu lassen. Es hätte sich ge-
zeigt, dass es eben nicht nur eine Sichtweise gibt und dass sich die Wahrheit histori-
scher Ereignisse oft erst in der Widersprüchlichkeit der Sichtweisen aufzeigen lässt.
Ich bin den Autoren und Autorinnen außerordentlich dankbar dafür, dass sie ihre Per-
spektive eines Themas oder eines Zeitabschnittes veröffentlichen und sich damit, ob-
wohl es in der Regel ihre akademisch wohlbegründete Perspektive ist, angreifbar ma-
chen. Nicht vorgesehen ist in unserer Kirchengeschichte die Entwicklung der
historischen Fantasie für kontrafaktisches Geschehen, um eine Formulierung des Alt-
historikers Alexander Demandt aufzunehmen. Hierfür hätte einiges gesprochen.
Denn welche Assoziationen hätte beispielsweise die Frage ausgelöst: „Was wäre,
wenn die Reformation in Braunschweig nicht Einzug gehalten hätte?“ Aber genug der
Gedankenspiele. Die Braunschweigische Kirchengeschichte fragt nicht nach kontra-
faktischem Geschehen, ich denke vielmehr, dass es eine ihrer Aufgaben ist, ein Be-
wusstsein und ihm zugehörendes Wissen über den Weg und das Wesen der Evange-
lisch-Lutherischen Kirche in dieser Region bereit zu stellen, zu diskutieren und damit
dazu beizutragen, dass die Frage nach der Identität der Landeskirche nicht durch