Seite 10 - Kirchenbuch

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Prof. Dr. Fr i edr i ch Weber
zu tun aufgetragen ist. Was uns zu tun aufgetragen ist im Braunschweiger Land, im
Land Niedersachsen, in unseren ökumenischen Beziehungen und in den Arbeitspro-
zessen, in die wir in der EKD und in der VELKD gestellt sind, ist das, was uns seit unse-
rer Kirchwerdung aufgetragen ist, nämlich die Verkündigung des Wortes Gottes in
Wort und Tat. Wir sind als Kirche Jesu Christi dazu berufen, öffentlich davon Zeugnis
abzulegen, was der Grund unserer Hoffnung ist (1. Petrus).
Dass wir nicht die ersten sind und wohl auch nicht die letzten bleiben werden, die in
einer sich wandelnden Kirche leben und diese Verwandlungsprozesse zu gestalten
haben, zeigt auch der Blick in die Geschichte. Es war eigentlich nie anders. Insofern
bin ich den Autoren und Autorinnen der nun vorliegenden Kirchengeschichte außer-
ordentlich dankbar, dass sie uns die Augen dafür öffnen, was die Menschen vor uns
angetrieben und umgetrieben hat, wie sie auf die Herausforderungen ihrer jeweiligen
Zeit reagierten und wie sie den ihnen aufgetragenen Auftrag in dieser Welt lebten. Es
ist gut, dass unabhängig von den aktuellen Fragestellungen bereits vor einigen Jahren
das Kollegium des Landeskirchenamtes die Bitte ausgesprochen hat, eine Kirchenge-
schichte der Landeskirche zu erstellen. Frau Landeskirchenarchivrätin Birgit Hoff-
mann hat diesen Auftrag übernommen und die Aufgabenstellung in einem Arbeits-
kreis präzisiert. Es ist interessant und für die inhaltliche Gestaltung des Werkes von
großer Bedeutung, dass es nicht aus der Sicht eines Einzelnen verfasst wurde, son-
dern dass die Darstellung der unterschiedlichen Themen von je unterschiedlichen
Menschen verfasst, zu einem Bild der Geschichte und wichtiger Lebensäußerungen
der Landeskirche geführt haben oder führen, das sich durch Multiperspektivität aus-
zeichnet. Damit macht die vorliegende Kirchengeschichte mit der spätestens seit dem
18. Jahrhundert vertrauten Einsicht ernst, dass kein Historiker über die unverfälschte
Wahrheit verfügt, sondern selbst bei der Analyse von Quellen, die seiner Darstellung
zu Grunde liegen, eine je besondere Perspektive und auch einen je eigenen Standort
einnimmt, er somit letztendlich - selbst bei aller wissenschaftlichen Durchdringung
des Stoffes - eine Auffassung von dem übermittelt, was geschehen ist. Neu ist diese
Einsicht in der Tat nicht. Der Theologe Johann Martin Chladenius (1710-1759) hat den
„Sehpunkt“ entdeckt und damit deutlich gemacht, dass für die Geschichtsschreibung,
also auch für die Kirchengeschichtsschreibung, Standortbindungen und Perspektivi-
tätserkenntnis notwendige Bedingungen sind. Er meinte: „Die Geschichte ist einerlei,
die Vorstellung davon ist verschieden und mannigfaltig.“ Dies bedeutet, dass sich
Sichtweisen durchaus widersprechen können und doch zugleich je für sich Wahrhei-
ten beanspruchen dürfen. Die Interessen dessen, der schreibt, sein Standort, seine Be-
ziehung zur Sache, sein Sehpunkt also, z. B. auf die Kirchenmusik, bilden den Ort, von
dem aus er oder sie ihr Thema bearbeiten. Und damit gilt, Geschichtsschreibung ist
ohne einen eigenen Standpunkt nicht möglich. Dies aber bedeutet, dass es nicht un-
erheblich ist, von wem etwas analysiert, von wem etwas geschrieben und ausgewer-
tet wird. Auf die nun vorliegende Braunschweigische Kirchengeschichte angewandt