Seite 9 - Kirchenbuch

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VORWORT
„Aus der Geschichte erst werden Sie lernen, einen Wert auf die Güter zu legen, deren
Gewohnheit und unangefochtener Besitz so gern die Dankbarkeit raubt.“ Diese Be-
gründung für die Beschäftigung mit der Geschichte findet sich in der berühmt gewor-
denen Antrittsvorlesung Friedrich Schillers aus dem Jahre 1789 in Jena, die unter dem
Titel veröffentlicht wurde „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalge-
schichte?“ Abgewandelt könnte sich diese Frage auch auf die nun endlich vorliegen-
de Kirchengeschichte der Braunschweigischen Landeskirche beziehen. „Was ist und
zu welchem Ende betreiben wir regionale Kirchengeschichte? Wen wollen wir errei-
chen? Was trägt sie aus und inwiefern kann sie sowohl als Stärkung der Identität, aber
auch für die Profilierung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braun-
schweig hilfreich sein?“ Am Ende der Lektüre unserer neuen Kirchengeschichte wird
sich zeigen, ob sie Antworten bereitstellen kann.
Sie erscheint zu einem Zeitpunkt, da sich unsere Landeskirche in einem vor allen Din-
gen durch die Entwicklungen der Demographie im Braunschweiger Land begründe-
ten kräftigen Wandel befindet. Die Landeskirche wird an Mitgliedern kleiner. Diese
Entwicklung verunsichert viele, die in der Kirche leben und arbeiten, und sie fragen
nach Konzepten, mitunter auch Rezepten, wie diesem Prozess zu begegnen sei. Weil
dies nicht nur ein Problem der Braunschweigischen Landeskirche ist, sondern nahe-
zu alle fünf evangelischen Kirchen in Niedersachsen betrifft, wird seit einiger Zeit
auch die Diskussion um die Zukunft der evangelischen Kirchen in Niedersachsen in-
tensiv geführt. Eine breite Öffentlichkeit fragt danach, was es eigentlich mit der Braun-
schweigischen Landeskirche auf sich habe, wo ihre Wurzeln liegen und was ihre
Identität ausmache. Nicht wenige haben in ihren Diskussionsbeiträgen eine Gleich-
setzung von altem Braunschweiger Land und Landeskirche vorgenommen. Die Lan-
deskirche, so sagten sie, sei die Kirche des Braunschweiger Landes, oder das Braun-
schweiger Land erhalte seine Identität durch die Braunschweigische Landeskirche.
Aus diesem Grund müsse alles getan werden, sie in ihrem Bestand zu erhalten. Wie
genau sich das Verhältnis beider, das ohne Frage gegeben ist, bestimmen lässt, blieb
aber letztendlich offen. Dagegen unüberhörbar war die Feststellung oder doch zumin-
dest der Wunsch, dass die Landeskirche Identitätsstifterin dieser Region bleiben
möge. Ich habe während der zurückliegenden Tagung der Landessynode im März
dieses Jahres in Bezug auf diesen Prozess davon gesprochen, dass wir „selbstbewusst
kleiner“ werden müssen. Ich glaube, dass Selbstbewusstsein in einem Prozess, der
nicht unbedingt Freude auslöst, nicht dadurch zu gewinnen ist, dass man die Situa-
tion fehl einschätzt und sich den Konsequenzen aus den auf der Hand liegenden Ver-
änderungsprozessen verweigert. Selbstbewusstsein lässt sich wohl erst dann gewin-
nen, wenn man weiß, wer man ist, wer man sein will, wer man nicht ist und was einem