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Re i nha r t Staats
die einzige heute voll funktionierende Großinstitution, deren
Wurzeln hinter Neuzeit und Reformation bis ins frühe Mittelalter
zurückreichen.
Die Darstellung einer Landeskirchengeschichte kann sich frei-
lich nicht mit der Geschichte ihrer äußeren Verfassung begnü-
gen. „Die Kirchengeschichte ist das geheime Zentrum der Welt-
geschichte“, meinte Dietrich Bonhoeffer.
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Ja, Kirche und Welt mit
deren Sozialgestalt und politischen Wechseln gehören zusam-
men. Aber wie – und wie richtig? Im Mittelalter wollte die christ
liche Kirche sogar das offensichtliche Zentrum der Weltgeschich-
te sein. Das zeigt sich in ihrer uns heute noch beeindruckenden
Anschaulichkeit. Das alte Europa besaß eine Ästhetik, die wir
auch heute als schön empfinden, so auch im Braunschweiger
Land mit seinen romanischen und gotischen Stadt- und Dorf
kirchen. Das norddeutsche hat ebenso wie das skandinavische
Luthertum sogar manches aus dem Mittelalter treu bewahrt, was
in der römisch-katholischen Kirche der Neuzeit durch neuere
dogmatische Festsetzungen und ästhetische Empfindungen (Be-
schlüsse des Trienter Konzils, Barock) überdeckt worden ist. Für
Christen mit anderer konfessioneller Herkunft (Katholiken, auch
Reformierte) mag es überraschend sein zu sehen, wie hier auch
im Braunschweigischen die mittelalterlichen Kirchenpatrozinien
beibehalten sind (meist mit lateinischem Genitiv: Nicht Martins –
sondern St. Martini-Kirche in Braunschweig; in Helmstedt: St. Ste-
phani, St. Ludgeri usw.), und viele Pastoren stehen immer noch
vor dem Altar und sprechen liturgische Gebete zum Kreuz Jesu
Christi hin, womit der Liturg dieselbe Gebetsrichtung wie die Ge-
meinde einnimmt. Trotz reicher kirchlicher Kultur aus späteren
Epochen ist auch die braunschweigische Kirche mit ihrer mittel-
Abb. 1:
Ansicht von Braun-
schweig und seinen
mittelalterlichen
Kirchen von Westen
(um 1840),
Altguarchierte
Kreidelithographie von
W. F. Pfeifer
(Ausschnitt), Quelle:
Landeskirchliches
Archiv Wolfenbüttel