Seite 37 - Kirchenbuch

Basic HTML-Version

Di e mi t te l a l ter l i che K i rche im Braunschwe i ger Land
89
ßen vor dem Kirchenportal statt (
in facie ecclesiae
). Als typisch deutschen Rechtsakt
(
mos teutonicus
) kritisierte der Humanist Enea Piccolomini 1452 das förmliche Ende
der Hochzeit, wenn das Brautpaar vor Trauzeugen entkleidet und zu Bette gebracht
wurde, wie es noch 1525 bei der Heirat Martin Luthers mit Katharina von Bora ge-
schah. Nichtöffentliche, „klandestine“ Ehen gehörten zu den bußpflichtigen schwe-
ren Sünden. Das IV. Laterankonzil 1215 musste dieses einschärfen, weil offensichtlich
die Konkubinate gerade bei Priestern sehr verbreitet waren. Das blieb so bis zur Refor-
mationszeit. Auch Erasmus von Rotterdam war ein Priesterkind. Ein skandalöses Bei-
spiel für eine heimliche Ehe bot der Wolfenbütteler Herzog Heinrich der Jüngere
(1489-1568), ein fanatischer Gegner der Reformation, der auch in dieser Hinsicht eine
noch ganz mittelalterliche Erscheinung war. Heinrich der Jüngere lebte nach 1522
heimlich zusammen mit Eva von Trott, einem Hoffräulein seiner Ehefrau Marie von
Württemberg. 1532 ließ er Eva in Gandersheim zum Schein sterben und beerdigen,
um hernach mit ihr noch zehn Jahre auf der Staufenburg im Harz, oberhalb Münche-
hof, eine klandestine Ehe führen zu können.
Ehescheidung galt prinzipiell als Ehebruch. Doch gab es kirchliche Dispense. So
konnte eine Ehe bei gemeinsamen Vorfahren von sieben Generationen annulliert wer-
den. Das war Kirchenrecht bis ins 12. Jahrhundert. Auf jenem IV. Laterankonzil (1215)
wurde die Sache ermäßigt, so dass nur bei vier Generationen gemeinsamer Vorfahren
ein Ehehindernis vorlag. Der Adel nahm diese kirchenrechtlichen Bestimmungen
nicht selten zum Vorwand, um eine Scheidung zu erreichen. Heinrichs des Löwen
Schwiegermutter Eleonore von Aquitanien war in erster Ehe mit dem französischen
König Ludwig VII., in zweiter Ehe mit dem englischen König Heinrich II. verheiratet.
Heinrich der Löwe selbst war seit 1148 in erster Ehe mit Clementia von Zähringen
(gest. um 1167) verheiratet gewesen. Clementia hatte bei längerer Abwesenheit ihres
Mannes im Süden Deutschlands und in Italien ganz Sachsen mit starker Hand regiert.
Die Eheleute hatten einen früh verstorbenen Sohn und zwei Töchter.
Nachdem kein männlicher Erbe aus dieser Ehe kam, ließ sich der Herzog 1162 von
Clementia scheiden. Als Scheidungsgrund wurde „Verwandtschaft“ angegeben (
prop-
ter cognationis titulum
)
132
, und Heinrich der Löwe heiratete 1168 in zweiter Ehe imMin-
dener Dom die englische Königstochter Mathilde. Clementia heiratete nach ihrer
Scheidung einen Grafen Humbert III. von Savoyen. Diese Ehe soll kinderlos geblieben
sein. – Bei der Öffnung der Grablege Kaiser Lothars III. in der Stiftskirche zu Königslut-
ter 1978 stellte sich nicht nur heraus, dass Kaiserin Richenza und Heinrich der Stolze
(des Löwen Vater) auf der Tumba oben vertauscht worden waren, sondern sich unten
im Grab neben Heinrich dem Stolzen auch der Sarkophag eines sechs bis neunjähri-
gen Jungen befand, der nachweislich später dorthin umgebettet worden war. Sollte
das Kind in der Stiftskirche Königslutter der kleine Heinrich, der erste einzige Sohn
Clementias und Heinrichs des Löwen, gewesen sein? Der Junge war in Lüneburg nach