Seite 50 - Kirchenbuch

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Peter A lbrecht
Menschen sprachen, dann meinten sie auch alle. Jeder Berufung auf Menschheit lag
zumindest seit der Mitte des 18. Jahrhunderts stets eine gleichmacherische Tendenz
zu Grunde. Diese richtete sich zum einen gegen die bestehende ständisch geprägte
Gesellschaftsordnung, zum anderen aber auch gegen die Abwertung von Angehöri-
gen nichtchristlicher Gesellschaften. Aus demWilden wurde nun der ‚gute Wilde’, der
der Natur verbundener ist als der Europäer. Beide standen nun selbstverständlich als
Menschen auf einer Stufe, aber der ‚Wilde’ war der Ursprünglichere, eine Umkehr der
Sichtweisen, die jedoch nicht Allgemeingut wurde.
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Über viele Jahrzehnte hinweg galten die Schriften der Alten, also die der antiken Au-
toren, als ‚wahr’. Was sie schrieben, wurde als zutreffend hingenommen, wenn auch,
was nicht verschwiegen werden darf, durch geschickte Kommentierung geänderten
Auffassungen angenähert. Als neues Wahrheitskriterium wurde nun eingeführt, dass
sich solche Aussagen in der Praxis beweisen müssen. Die alten Schriften wurden wei-
terhin fleißig gelesen, doch nur der nachgewiesene Erfolg entschied, ob sie auch be-
achtet wurden. Es wurde üblich, Ereignisse, insbesondere in den Bereichen Medizin,
Land- und Hauswirtschaft, aber auch Astronomie, ausführlich zu dokumentieren und
durch Druck bekannt zu machen. Dieser so entstehende Fundus führte zu weitrei-
chenden neuen Erkenntnissen. Der Empirismus und der damit verbundene Skeptizis-
mus sollten besonders im Bereich der Medizin und den aufkommenden Naturwissen-
schaften die zeitgenössischen Vorstellungen erheblich verändern und damit indirekt
auch manche zeitgenössische theologische Positionen erschüttern. Aus kirchlicher
Sicht war aber eine andere Entwicklung von größerer Bedeutung. Kritisches Hinter-
fragen vorgefundener Texte machte auch vor der Bibel nicht halt. Die Historizität wur-
de entdeckt und die Lehre von der Verbalinspiration verworfen.
Die Aufklärung war aber keineswegs nur eine philosophisch ausgerichtete Schule. Da
es ihr generell um den Menschen ging, waren ihre Vertreter, und das ganz besonders
im deutschen Sprachraum, um praktische Veränderungen des alltäglichen Lebens
bemüht, also das Leben allgemein lebenswerter zu gestalten. Insbesondere in der
Spätaufklärung standen Bemühungen um die ‚Aufklärung des Volkes’ im Vorder-
grund. Sehr viele Pfarrer wirkten als Volksaufklärer, besonders die Land- und Haus-
wirtschaft waren ihr Feld. Ein anderer Schwerpunkt war der Kampf gegen Aberglau-
ben. Dabei ging es nicht nur um Kartenlegen, Kaffeesatzlesen und andere
vergleichbare Dinge, der Alltag wurde für viele Menschen dieser Zeit durch viele an-
dere durchaus als Aberglauben einzustufende Dinge bestimmt. So wurden etwa so-
wohl dem zu Ostern geschöpften Wasser als auch dem Sprung durch das Johannis-
feuer allerlei Wirkungen zugeschrieben. Volkskundler bedauern diese Entwicklung
noch heute, wenn auch einige der im 18. Jahrhundert außer Gebrauch gekommenen
Bräuche im 19. Jahrhundert wieder auflebten. Nun muss man wirklich nicht alles da-
mals Unterbundene recht hoch einschätzen. So findet sich 1744 folgende Eingabe an