Seite 110 - Luftfahrtgeschichte

Basic HTML-Version

WOLFGANG STEINHORST
330
Damals wurden noch kleine Seilfallschirme aus Seide verwendet. Sie
steckten in einer Büchse neben der Schleppkupplung am Bauch des Flug-
zeugs. Nach dem Ausklinken zog das abfallende Seil den Fallschirm aus der
Büchse und dieser bremste nach seiner Entfaltung die Fallgeschwindigkeit
des abfallenden Seils. Leider löste sich die Verbindung zwischen Fallschirm
und Seil sehr leicht. Der Schirm trieb dann im Wind flatternd ab, meist auf
das Gelände der Kaserne. Da die Flieger ihren Schirm wiederhaben wollten,
waren dann oft komplizierte Verhandlungen mit den englischen Wachtpos-
ten erforderlich. Insbesondere die jungen Flieger konnten beim Flugbetrieb
offensichtlich sehr viel lernen, u. a. das Fahren eines eigenwilligen Motorrads
und Englisch.
Da in unseren Breiten der Wind vorwiegend aus westlichen Richtungen
kommt, war auch die Schlepprichtung meist nach Westen, in Richtung auf
das Stadtgebiet, ausgerichtet. Für heutige Vorstellungen erscheint das – zu-
mindest für die Anfängerschulung – leicht abenteuerlich. Trotzdem ist hier
nie etwas passiert.
Der Flugbetrieb in Wolfenbüttel im Jahre 1953 war charakteristisch für
den Neuanfang des Segelflugs in Deutschland mit seinen bescheidenen Mög-
lichkeiten und Improvisationen. Er stand aber keinesfalls am Anfang der flie-
gerischen Aktivitäten des „Blau-Gelbs“ Braunschweig. Begonnen hatte alles
2 Jahre zuvor.
Bereits am 1. Mai 1951, wenige Tage nach der Freigabe durch die Alliierte
Hohe Kommission, hatten sich einige Segelfluginteressierte auf Einladung
des Postsportvereins „Blau-Gelb“ in der Kantine der Oberpostdirektion
Braunschweig in der Friedrich-Wilhelm-Straße in Braunschweig getroffen.
Man beschloss, eine Segelflugabteilung beim Post SV einzurichten. Man
folgte hierbei einer gewissen Tradition, denn bereits vor dem Krieg gab es
eine Gruppe von Postsegelfliegern, die in ihrer Werkstatt auf dem späteren
Schimmelhof an der Hamburger Straße 3 Schulgleiter gebaut hatte.
Die erste gemeinsame Aktion war ein Ausflug zur Niedersächsischen Mo-
dellflugmeisterschaft nach Hannover-Vahrenwald am 15. Juli 1951. Obwohl
Modellflugsport offiziell erst am 28. April 1951 wieder erlaubt wurde, hat
man ihn offenbar schon vorher geduldet. So konnte man auch bereits 1950
bei Farben Theile, einem Geschäft auf dem Bohlweg in Braunschweig, Bau-
pläne und Baumaterial für Flugmodelle erwerben.
Wie bei vielen Gründungen dieser Zeit bestand der Kern dieser Vereine
zunächst aus ehemaligen Fliegern, die den Krieg einigermaßen gesund über-
lebt hatten. Manche kannten sich schon aus Zeiten der Flieger-HJ. Man hat-
te sich nie ganz aus den Augen verloren. Sie brannten darauf, die Fliegerei
nun auch von ihrer freundlichen Seite kennen zu lernen.
Man erkannte sehr schnell, dass die Gruppe sich auch um jugendlichen
Nachwuchs ohne fliegerische Erfahrung bemühen sollte. Das gelang recht