Seite 62 - Luftfahrtgeschichte

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HORST EWALD, FRIEDRICH KARL FRANZMEYER UND HEINZ MANKAU
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ministerium (RLM). Dieses legte 1934/35 mit den „Industrierüstungsgrund-
lagen 1.4.38 (IRG 38)” einen konkreten Plan für den Ausbau der deutschen
Luftfahrtindustrie vor. Dieser ging von einer fiktiven Mobilmachung am
1. April 1938 aus, und beinhaltete den Aufbau einer Luftwaffe mit einem Be-
darf von ca. 11 700 Flugzeugen und einer entsprechenden Zahl von Flugmo-
toren. Um dieses Ziel zu erreichen, musste in Deutschland eine Luftfahrt-
industrie aufgebaut werden, die ca. 170 000 Personen im Flugzeugzellenbau
und 60 000 im Motorenbau umfasste. In der Folgezeit wurden diese Zahlen
sogar noch mehrfach nach oben korrigiert. Im Dezember 1938 war geplant,
bis zum 1. April 1942 weitere 31 300 Flugzeuge zu bauen, und die monatliche
Produktion von 500 im Jahr 1938 auf 950 bis 1 000 Stück zu steigern.
Um dieses Vorhaben zu realisieren, wählte die Regierung die Planwirt-
schaft, bei der die Unternehmen praktisch sämtliche Betriebsinterna offen­
legen und große Teile ihrer unternehmerischen Autonomie aufgeben muss-
ten. Andererseits standen für die Firmen lukrative Aufträge in Aussicht bei
gleichzeitiger Planungssicherheit. Der Staat übernahm weitgehend den fi-
nanziellen Aufwand zum Ausbau der Kapazitäten.
Das RLM ließ die gewünschten Flugzeuge von verschiedenen Firmen ent-
wickeln und fertigen. Dabei unterschied man zwischen Entwicklungsfirmen
wie Heinkel, die die Typen entwickelten und auch eine Fertigung unterhiel-
ten, reinen Produktionsfirmen (z. B. MIAG), und Zulieferern (z. B. Conti-
nental). Die Firmen wollten alle gern zu den Entwicklungsfirmen gehören,
aber das scheiterte vor allem an den Weisungen des RLM, das auf Dauer
auch nicht genügend Entwicklungsaufgaben sah, und die vorhandenen Inge-
nieure auf die wichtigen Firmen konzentrieren wollte.
Die Aussicht auf die Aufträge der Luftwaffe zog neben den etablierten
Flugzeug- und Motorenherstellern auch weitere, bisher branchenfremde Fir-
men an. In der Region Braunschweig waren dies vor allem die Firmen MIAG,
Grotrian-Steinweg, Büssing-NAG und später auch das Volkswagenwerk
(VWW).
Die
MIAG
entschloss sich 1934 auf Anraten des Vorstandsmitglieds Ste-
phan Luther (1891 – 1944), es nicht nur bei der Reparatur bewenden zu las-
sen, sondern in die Flugzeugproduktion einzusteigen. Als erster Schritt in
diese Richtung wurde im April 1934 Richard Dietrich (1894 – 1945) als Kon­
strukteur, Oberingenieur und Pilot verpf lichtet. Er holte sich zu seiner
Unterstützung weitere Ingenieure für das Konstruktionsbüro, die Werkstatt
und die Kontrolle ins Werk. Unter Dietrichs Leitung entstand innerhalb von
sechs Monaten das Schul- und Übungsflugzeug MD 12, ein Doppeldecker,
der von einem Siemens Sh 14 A-Motor mit einer Leistung von 150/125 PS
angetrieben wurde. Ein Serienbau war vom RLM nicht beabsichtigt. Er
diente diesem nur als Qualifikationsnachweis der MIAG als Nachbaufirma
für die geplante Großserienproduktion.