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Die Münzprägung des Spätmittelalters und der Beginn der Groschenprägung
Im System der Münzverrufungen, das zu Zwangskursen führte und als eine Art Münzsteuer ver-
standen wurde, entstanden zahlreiche isolierte Wirtschaftskreise, in denen nur die eigene Währung
gültig war. Dadurch wurde das Umwechseln der Münzen bei auswärtigen Geschäften notwendig.
Durch den Geldwechsel und die stetige Neuauf lage von Prägungen blühten die Geschäfte von
Bankiers, Geldwechslern und Münzergenossenschaften, die teilweise die Prägungen der Münzherren
finanzierten und das Prägematerial beschafften, aber auch das Wechselgeschäft ausübten.
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Die
regionalisierten Währungen behinderten aber Handelsstädte wie Braunschweig in ihrer wirtschaft-
lichen und handelspolitischen Entwicklung. Die Städte halfen sich zeitweise damit, dass sie Barren
aus gegossenem Rohsilber herstellten, die als Zahlungsmittel für den Groß- und Fernhandel ver-
wendet wurden (siehe unten S. 82). Dabei stießen sie auf den Widerstand der Landesherren, die den
Gebrauch von geprägten Münzen vorzuschreiben versuchten, um weiterhin an deren Herstellung zu
verdienen.
Im Kleinverkehr und im täglichen Leben war man auf die Pfennige angewiesen, die für ein ge-
ordnetes Erwerbsleben in den Städten und die innerstädtische Wirtschaft unverzichtbar waren. Daher
bemühten sich die großen Städte, die Münzprägung selbst zu übernehmen. Weil sich die Herzöge vor
allem wegen der zahlreichen Kriege, die sie zur Erweiterung ihres Machtbereichs führten, ständig in
Geldnöten befanden, verpfändeten oder verkauften sie häufig ihre Hoheitsrechte, darunter das Münz-
recht, an die Städte.
Die Münzprägung der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg – mit Ausnahme der Grubenhagener
Linie – verlor dadurch im Spätmittelalter immer mehr an Bedeutung. An ihre Stelle traten städtische
Prägungen, die bald nicht nur in der jeweiligen Stadt, sondern auch im umliegenden Land als Zahlungs-
mittel galten.
Herzog Otto der Strenge von Braunschweig-Lüneburg verkaufte am 6. Januar 1293 die Münze in
Lüneburg an die ‚Prälaten, Ritter, Knappen und Städte des Landes Lüneburg’
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, am 2. Februar 1322 die
Münze in Hannover an ‚Ritterschaft, Stadt und Land Hannover’.
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Die Stadt Northeim erhielt 1334
durch Otto den Milden und Magnus I. den Pfandbesitz über die Münze, die Stadt Göttingen 1351
durch Herzog Ernst.
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Herzog Otto Malus übergab am 13. Juli 1382 ‚Rat und Bürgern der Stadt
Göttingen’ die dortige Münze für 514 Mark unter dem Vorbehalt des Rückkaufs nach drei Jahren.
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Der Stadt Braunschweig gelang der endgültige Erwerb der herzoglichen Münze zu Braunschweig im
Jahre 1412.
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Aber schon seit 1296 war die Münzstätte mehrfach an die Stadt Braunschweig verpfändet
worden (siehe unten S. 71).
Goslar übernahm 1290 das ehemals königliche Münzrecht, als Rat und Bürger-
schaft die Vogtei für Stadt und Umgebung kauften
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, und prägte die so genannten
‚Simon-Judas-Pfennige’ (Abb. 71)
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. Diese kleinen einseitigen Pfennige führten das
Goslarer Münzbild mit den beiden Heiligen Simon und Judas fort, die auch schon auf
den Pfennigen der Reichsmünzstätte Goslar abgebildet waren (siehe oben S. 19).
Durch Verträge versuchten zahlreiche Städte den Geltungsbereich ihrer städtischen Münzen zu er-
weitern, so etwa 1461 in einem in Hildesheim geschlossenen Vertrag die Städte Braunschweig, Goslar,
Hildesheim, Göttingen, Hannover, Einbeck und Northeim (siehe dazu unten S. 88). Die Fürsten
ihrerseits akzeptierten die Prägungen der Städte, die in ihrem Land lagen, als Landesmünzen, ge-
standen den Städten teilweise auch das Prägemonopol zu.
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Im Braunschweigischen Land, das sich seit dem 14. Jahrhundert erst allmählich um Braunschweig,
Wolfenbüttel, Schöningen, Helmstedt und Königslutter entwickelte
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, existierten nur zwei spätmittel-
alterliche städtische Münzstätten, in erster Linie Braunschweig und zeitweise Helmstedt. Doch
wurden auch in Goslar und Gandersheim sowie durch die Grafen und Herren von Blankenburg-
Regenstein, Hohnstein, Homburg und Hoya Münzen geprägt, die man im weitesten Sinne als
‚Münzen des Landes Braunschweig’ bezeichnen kann, weil sich das Fürstentum Braunschweig-
Wolfenbüttel in der frühen Neuzeit bis dorthin ausweitete. Als das Land Oberwald zwischen 1294
und 1345 mit Braunschweig und Wolfenbüttel vereint war, kamen zudem aus den Münzstätten
Göttingen und Northeim offizielle Landesmünzen.
Abb. 71:
Stadt Goslar, Simon-Judas-
Pfennig, nach 1290. –
Silber. 0,44 g. 19mm. –
HAUM Inv.-Nr. 208c/8.
Vorderseite:
Köpfe der Heiligen Simon
und Judas unter einer ge-
meinsamen Krone, darunter
Kreuz.
Rückseite:
ungeprägt.