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M
it breitem Grinsen stand der
Müller neben dem Mahlstein
und füllte Korn in das
Mahlauge. Schwerfällig drehte sich das
Steinrad, während das Klappern des
Wasserrades durch die Mühle hallte.
Gierig griff er nach dem frischen Mehl und
ließ es durch die Finger rinnen. Dabei
murmelte er vor sich hin: „Bauern sind
dumm! Die verdienen es, betrogen zu
werden.“ Wieder einmal hatte der Müller
heimlich Mehl abgezweigt. Zu Recht, wie er
glaubte. War sein Buckel vom jahrelangen
Schleppen der Getreidesäcke nicht krumm
genug? Außerdem, ein paar Hände Mehl
mehr oder weniger fielen gar nicht auf.
Anfangs bemerkten die Bauern den Betrug
tatsächlich nicht. Aber bald wurden sie
misstrauisch: „Müller, prall gefüllte
Getreidesäcke bringen wir dir, doch hast du
das Mehl eingefüllt, dann ist viel Luft zum
Schnüren.“
„Beschwert euch bei den Ratten und
Mäusen! Die fragen nicht nach Eigentum“,
antwortete der Müller jedes Mal barsch.
Bald fand er eine weitere List: Mit einer
Eisenfeile hobelte er an den Gewichten
seiner Getreidewaage. „Die Waage des
Müllers zeigt falsch. Von jedem Sack, den
wir für unser Korn bekommen, fehlen beim
Bäcker mehrere Unzen Mehl“, schimpften
die Bauern unter sich. Doch sie hatten keine
andere Wahl. Es gab an der Oker nur diese