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diesem Fall ein „Lichtbild“ im doppelten Sinne. Sie lichtet jene Spuren
ab, die das Licht auf der Wandbespannung hinterlassen hat.
Weitere „Bildpaare“ dokumentieren die Zustände vor und nach der
Räumung des Altgebäudes: Nachdem mit dem Auszug auch die Gips-
abgüsse griechischer Skulpturen aus dem Foyer entfernt worden sind,
wurden nicht nur Fliesen zur Prüfung der Wiederverwendbarkeit
demontiert, sondern das benachbarte, ehemalige Büro wurde sogleich
als Abstellraum vereinnahmt. (Kat. 35)
Die Aufnahme „Alte Bibliothek“ (Kat. 8) f indet selbstredend ihr Pen-
dant in „Neue Bibliothek“ (Kat. 27). Während erstere die Empore der
Bibliothek im Altgebäude zeigt, sind in letzterer die der Bücher har-
renden, leeren Regale zu sehen. Mit dem Umzug sind auch die
gesamte Einrichtung und das Mobiliar erneuert worden – lediglich der
zum alten Stuhlbestand gehörende Frankfurter Küchenstuhl taucht wie
ein Relikt aus alten Tagen inmitten der neuen Räumlichkeiten im
Neubau auf.
Neben korrespondierenden Einzelaufnahmen f inden sich auch Synthe-
sen von Alt und Neu. „Übergang zum alten Museumsgebäude“ sowie
„Altes Museumsgebäude und Neubau“ (Kat. 23 und 24) vereinigen das
historische Gebäude und den Verwaltungsbau im Format des Panora-
mas. Die jeweils im Übergang zwischen Alt- und Neubau entstande-
nen Aufnahmen vergegenwärtigen die Dimensionen beider Gebäude.
„Übergang zum alten Museumsgebäude“ führt den Blick auf der linken
Seite den Übergang entlang, während rechts die Länge des Neubaus
durch den Blick in den Spalt zwischen Fensterfassade und außen
liegender Stahlkonstruktion zu voller Geltung kommt.
Im Bild „Altes Museumsgebäude und Neubau“ führen einmal mehr
Spiegelungen den Blick über die abgelichteten Gegenstände hinaus
und lassen die Längenausdehnungen der Gebäude deutlich werden.
Resümee
Uwe Brodmanns Panoramen zeigen Erinnerungen an ein Museum, das
Ende des 19. Jahrhunderts eingerichtet und über ein Jahrhundert lang
immer wieder verändert wurde. Diesen gewachsenen Strukturen
setzten der Neubau, der Umzug der Sammlungen und letztlich die
Sanierung ein vorläuf iges Ende. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis,
dass „durch Fotograf ie […] das kulturelle Bildgedächtnis immens
erweitert worden [ist], und die Kulturtechnik des Fotograf ierens […]
bis heute strukturbildend in kollektive und individuelle Erinnerungs-
praktiken hinein[wirkt]“
13
, bedient sich Brodmann einer wesentlichen
Funktion der Fotograf ie: „als Muster realistischer bzw. naturalistischer
Speicherungen von Wirklichkeit“
14
schafft Brodmann eine Basis für
eine Gedächtniskonstruktion, die der Institution des Museums gerecht
wird.
Der Fotograf hat weniger Wert auf eine Dokumentation im Sinne
einer vollständigen Bestandsaufnahme gelegt, vielmehr hat er eine
subjektive Auswahl getroffen, mit der er nicht nur der Aussagekraft
der vorgefundenen Situationen nachzukommen, sondern gleicherma-
ßen ästhetischen Kriterien zu genügen sucht. Dieses selektive Vorge-
hen entspricht im Übrigen dem Wesen des Gedächtnisses, das immer
auch eine bestimmte Perspektive einnimmt und „nicht auf größtmög-
lichste Vollständigkeit eingestellt“
15
ist. Vielmehr nimmt es „nicht
Beliebiges in sich auf, sondern beruht […] auf einer strikten Aus-
wahl.“
16
Insofern stimmen die Arbeitsmethode der gezielten Auswahl
auf der einen und die Ergebnisse in Gestalt eines Kaleidoskops von
erinnerungswürdigen Impressionen auf der anderen Seite überein.
Ohnehin vermag die Fotograf ie keine objektive Dokumentation zu
leisten. Nach Roland Barthes besitzt sie „‚eine bestätigende Kraft
[force constative]’, wenn auch ‚die Zeugenschaft [le constative]’ sich
13 Holm 2010, S. 227.
14 Holm 2010, S. 233.
15 Assmann 2000, S. 22.
16 Assmann 2000, S. 22.