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Res t aur i er t e Ob j ekt e
In den 25 Jahren ihres Bestehens wurden in
der St. Marienberger Werkstatt für Textilres-
taurierung mehr als 300 Objekte nach strengen
musealen Maßstäben sachgerecht bearbeitet
und so für die Zukunft erhalten – eine beein-
druckende Bilanz! Der erste Auftraggeber war
mit dem Braunschweigischen Vereinigten
Kloster- und Studienfonds der Eigentümer der
St. Marienberger Textilien. Diese sollten nach
und nach restauriert werden, auch für die
Paramentenwerkstatt eine gute Ausgangslage.
Doch der Auftraggeberkreis weitete sich aus,
und es zählten bald benachbarte Klöster, die
Klosterkammer Hannover, die Diözese Hildes-
heim, viele Kirchengemeinden, Museen, sogar
einige Privatpersonen dazu. Mit der Wende
1989 konnte der Wirkungsradius auch auf den
Osten Deutschlands ausgedehnt werden.
Im folgenden soll das breite Spektrum der
Arbeiten anhand ausgewählter Objekte dar-
gestellt werden. Dabei wurde versucht, anhand
verschiedener Kriterien wie Entstehungszeiten,
Provenienzen, Techniken, Funktionen u.ä. eine
möglichst repräsentative Auswahl zu treffen.
Für die Abfolge der Darstellung wurde in der
Regel der Restaurierungszeitpunkt bestimmt.
Wurden von einer Institution allerdings meh-
rere Objekte in Auftrag gegeben, werden diese
hintereinander besprochen.
3.1 Die St. Marienberger Textilien
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Die St. Marienberger Paramente, von denen die
kostbarsten seit 1983 in der Schatzkammer am
Kreuzgang ausgestellt sind – weitere befinden
sich im Depot –, waren vermutlich während der
Napoleonischen Kriege zur Sicherheit auf den
Dachboden des Klosters verbracht worden.
Erst unter Domina Charlotte wurden sie gegen
Mitte des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt und
geborgen
70
.
Bei dem frühesten erhaltenen Stück aus dem
„Marienberger Paramentenschatz“ handelt es
sich um das Fragment einer Stola, das zu der
liturgischen Gewandung eines der Stiftsgeist-
lichen gehörte. Um die Mitte des 13. Jahrhun-
derts entstanden, spiegelt es den Kunstge-
schmack der Zeit der wohl gerade beendeten
Bauaktivitäten in St. Marienberg wider
71
.
Als Blüte der Textilproduktion lässt sich die
2. Hälfte des 15. Jahrhunderts ausmachen – die
weitaus meisten Stücke stammen aus dieser
Zeit. Sie zeugen mit der Vielfalt der angewand-
ten Techniken und der hohen Originalität in der
Bilderfindung von einer schöpferischen Hoch-
zeit. Die Reformation hat keine Spuren der
Textilproduktion hinterlassen; auch die Barock-
bzw. Rokokozeit kann nur mit vier gut gearbei-
teten, aber marginalen Stücken (Pallen
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)
aufwarten. Im späten 19. und frühen 20. Jahr-
hundert wurde die Tradition der klösterlichen
textilen Handarbeit durch die Paramenten-
werkstatt neu belebt.
3.1.1 Die Tuchdecke Anna Selbdritt
(Mitte 15. Jh.)
Mit diesem Stück begannen 1983 die Restaurie-
rungsarbeiten der klostereigenen Textilien. Es
handelt sich um ein querrechteckiges, schwarz-
grundiges Wolltuch (86 x 212 cm
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), auf das die
Darstellung einer sog. Anna Selbdritt mit
vielfarbigen Seidenfäden (Spaltstich) und
vergoldeten Lederkonturen (Überfangstich mit
Leinenfäden) gestickt wurde. In der Mitte des
Bildes sitzt die hl. Anna frontal auf einem
breiten, ausladenden Thron, dessen Seiten-
wände in perspektivischer Andeutung nach
vorne geknickt sind und von zwei Ziertürmchen
begrenzt werden. Sie hat rechts ihre gekrönte
Tochter Maria und links das Jesuskind auf den
Schoß genommen. Zwei steigende Löwen
umgeben den Thron, über ihnen musizieren
zwei kleine Engel. Die Figuren werden von
einer baldachinartigen Architektur überfangen,
seitlich eingefasst von zwei schweren Tortür-
men. Außerhalb der Architektur befinden sich
zwei weitere musizierende Engel. Der Hinter-
grund ist mit Sternen bedeckt. Das klar symme-
trisch aufgebaute Bild wird von einer breiten
Weinrankenbordüre gerahmt. Es scheint
mehrere theologische Anspielungen zu enthal-
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