Seite 30 - Quadriga

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Die beiden Quadrigen des ehemaligen Residenzschlosses
von einheitlicher und ruhiger Gestalt. Zwi-
schen Tierleib und Wagen kann man sie nur
schlecht erkennen, weswegen sie von Riet-
schel in großer buschiger, fast barock wir-
kender Form gestaltet wurden
(Abb. 51; 52)
.
Rietschel arbeitete bei den Quadrigapferden
die gelungene Mischung zwischen dem
selbstständigen, naturhaften Auftritt und
der zuchtvollen Bändigung am Zügel her-
aus. Diese Mischung fehlt den Vorgänger-
Skulpturen fast gänzlich. Der Pferdetyp der
Braunschweiger Quadriga ist Rietschels
künstlerische Erfindung. Nach ihm über-
nahmen auch andere Bildhauer bei Reiter-
standbildern und Quadrigen die natürliche
Gestaltung von Pferden.
Rietschel setzte den Zugpferden Löwen-
köpfe auf die Brust und fasste sie in ein
vielfältig verziertes Pferdegeschirr nach an-
tiken Mustern aus verschlungenen Wellen-
formen ein. Derartige Löwenköpfe gehören
seit der Antike zur besonderen Ausstattung
vonWagengespannen
(Abb. 33; 35)
. Daneben
konnte sich Rietschel die Gleichartigkeit mit
dem welfischen Wappentier zu Nutze ma-
chen, so dass der Braunschweiger Löwe bei
der Quadriga in abgewandelter Form mehr-
fach zu finden ist und die braunschweigi-
sche Landespatronin heraldisch verstärkt.
Die losen Teile wie Pferdegeschirr, Zügel
und Zugbänder zwischen dem Wagen und
den Pferden, aber auch die Deichsel hatte
Rietschel wohl nur aus Ersatzstoffen wie
Stoff, Leder und Holz hergestellt; nur die
Deichsel erhielt als Abschluss noch eine pro-
filierte Gipsrosette. So zeigt es die Fotografie
des Modells von 1877
(Abb. 33)
. Diese Ersatz-
materialien dienten als Platzhalter und
mussten später von Howaldt neu gestaltet
werden. Die textilen Teile fehlen an dem heu-
te erhaltenen 1:3-Modell Rietschels
(Abb. 57)
.
Letzter Versand von Pferdemodellen
nach Braunschweig und Beginn der
Figurenherstellung bei Howaldt
Seit März 1858 standen zwei Pferdegipse
von Rietschel in der neuen Werkstatt von
Howaldt an der Hochstraße. In der Braun-
schweiger Öffentlichkeit und in Fachkrei-
sen wurden die natürlich wirkenden Pferde-
entwürfe, nach Schillers Worten „elegante
und monumental stylisirte Rosse“, außeror-
Abb. 35:
Ernst Rietschel, 2. Pferd
von links aus dem
Originalmodell der
Quadriga beim Abguss,
Maßstab 1:3 (Höhe 160
cm, Länge 162 cm), getön­
ter Gips, um 1857-1858,
Dresden, Skulpturen­
sammlung.