Seite 36 - Quadriga

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Die beiden Quadrigen des ehemaligen Residenzschlosses
auf die großen Ahnen der jüngeren Welfen-
geschichte: auf Friedrich Wilhelm, den
Schwarzen Herzog und Vater Herzog Wil-
helms, und auf dessen Großvater Karl Wil-
helm Ferdinand. Beide ließen im Kampf
gegen Napoleon ihr Leben.
Sich dieser nach Heinrich dem Löwen
vielleicht populärsten Welfenherzöge zu er-
innern, war für jeden Braunschweiger im 19.
Jahrhundert höchste Pf licht. So wurde schon
1823 der Obelisk auf dem Löwenwall durch
Bürger gestiftet. Eine derartige Stiftung woll-
te man an dem viel prominenteren Ort, vor
dem Residenzschloss, wiederholen. Die
großartige Wirkung dieses ungewöhnlich
vielfältigen braunschweigisch-antikisch ge-
stimmten Figurenreigens ließ das Residenz-
schloss und den Schlossplatz durch Bürger-
stiftungen zu einer Galerie welfischer
Ahnen werden, die man seit 2008 wieder
bewundern kann. Jene Initiativen haben
Herzog Wilhelm nur wenig berührt. Sie sind
aber typisch für das 19. Jahrhundert, in dem
der Patriotismus sich zum Anliegen der Bür-
ger entwickelte, obwohl er Bezüge zur mon-
archischen Vergangenheit herstellte.
Die zweite Quadriga kleiner als die erste
Quadriga?
In der Literatur über die Braunschweiger
Schlossquadrigen ist zu lesen, dass die zwei-
te Quadriga kleiner als die erste Quadriga
gewesen sei. H. Kindt gibt 1957 sogar einen
Verkleinerungsfaktor von tatsächlich zutref-
fenden „15%“ an. Der Autor der vorliegenden
Schrift hat die drei Braunschweiger Quadri-
gen anhand von historischen Fotos, Größen-
angaben und des bemaßten metrischen
Plans von ca. 1906
(Abb. 50)
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, der die zwei-
te Quadriga zeigt, auf Maßabweichungen
hin untersucht und kann eine Verkleine-
rung der Wagen- und Brunoniagruppe der
zweiten Quadriga durchaus bestätigen.
Die Veränderungen in der Übersicht
Der etwas zu massig geratene Leib der ers-
ten Brunonia und ihr ausufernder Umhang
wurden bei der zweiten Brunonia schlanker
gestaltet, weswegen sie mit der dritten Bru-
nonia von 2008 in diesem Punkt überein-
stimmt.
Die Räder der zweiten Quadriga sind
kleiner als die der ersten und dritten Quad-
riga und haben nur noch einen Durchmes-
ser von 260 cm. Das entspricht keiner exak-
ten dreifachen Vergrößerung der 1:3-Räder
mit einem Durchmesser von 96,50 cm des
Modells von Rietschel. Sonst wären die Rä-
der der zweiten Quadriga wie die der dritten
Quadriga 289,50 cm groß. Diese Reduzie-
rung des Durchmessers um fast 30 cm stell-
te einen schweren Eingriff in Rietschels
Entwurf dar. Und gegenüber der ersten
Quadriga wurden die Räder sogar um 40-
60 cm verkleinert (s.o.).
Die Scheitelwandung des Wagens mit
250 bis 260 cm Höhe bei der ersten Quadri-
ga wurde bei der zweiten Quadriga auf die
korrekte Höhe von 230 cm abgesenkt, wie
sie auch die dritte Quadriga mit getreuer
Umsetzung des 1:3-Modells aufweist. Damit
konnte der Standpunkt der zweiten Bruno-
nia im Wagen um ca. 20 cm auf 1 m abge-
senkt werden; das bestätigt auch Howaldts
Zeitgenosse H. Riegel, und damit entspricht
der Figurenstandpunkt wieder dem der drit-
ten Quadriga. Außerdem wurde die Bruno-
nia um ca. 50 cm auf 4,85 m verkürzt, was
eine abermalige massive Veränderung von
Rietschels Vorgaben mit einer Figur von ca.
5,35 m samt Standsockel bedeutete. Trotz
dieser etwas abgef lachten Pyramidenform
war die Gruppe noch gut vom Schlossplatz
aus zu sehen.
Abb. 54:
Das Eisenskelett der
zweiten Quadriga auf
der zerstörten Plattform
der Ruine des
Braunschweiger
Residenzschlosses,
um 1955.