Die Rekonstruktionsgrundlagen der dritten Quadriga
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wäre der Zustand der Quadriga nicht gut
genug. Es gäbe zu viele lose Gipspartien, die
ebenso wie die Farblasur noch gefestigt wer-
den müssten. Etliche Details würden fehlen.
Außerdem sei die Gruppe derzeitig verstellt.
Damit war die Idee eines Modellabgusses
erst einmal auf unabsehbare Zeit erledigt.
Im November 1999 fuhr der Autor als
Assistent des damals noch bestehenden In-
stituts für Kunstgeschichte der TU Braun-
schweig mit Studenten auf Exkursion nach
Dresden, um neben den baulichen Schön-
heiten der Stadt auch das Quadrigamodell
in Augenschein zu nehmen. Tatsächlich
war das Modell in dem engen Depot nur
schwer zugänglich, aber als vollständiges
Viergespann aufgebaut. Es war ein erhabe-
ner Moment, einem so bedeutenden Kunst-
werk der braunschweigischen Geschichte
und dem bis dahin größten Ausstattungs-
stück des Residenzschlosses gegenüber zu
stehen: einer lebensgroßen Brunonia, die in
einem eineinhalb Meter langen Wagen die
Zügel führt, und vier ponyhaften Pferden,
die den Wagen ziehen. Nach dieser Besich-
tigung wurde es erst einmal wieder still um
das Braunschweiger Quadrigamodell in
Dresden, aber seine Existenz eröffnete nach
2003 Möglichkeiten, an die beim Besuch
der Quadriga 1999 noch niemand gedacht
hatte.
Die Rekonstruktionsgrundlagen
der dritten Quadriga
Abwägung des Quadrigaprojekts
Im Rückblick dauerte die Neuschöpfung der
dritten Quadriga fast fünf Jahre, von 2003
bis 2008. Die lange Zeit von Herbst 2003 bis
Januar 2006 beanspruchte die Finanz- und
Terminplanung, die Suche nach der richti-
gen Gestaltungs- und Herstellungsmethode,
die Beschaffung der Grundlagen für die Fi-
gurennachbildung sowie die zahlreichen
Abstimmungen mit dem Bauherrn des ECE-
Projektes
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und mit der Stadt Braunschweig
als künftiger Eigentümerin der Quadriga.
Manche Rückschläge mussten in diesen Jah-
ren verkraftet werden, wie es bei einem Pro-
jekt dieser Größenordnung auch nicht an-
ders erwartet werden konnte.
Am 8. Juli 2003 hatte die Stadt Braun-
schweig den Vertrag mit der ECE Projekt-
management unterzeichnet und damit den
Weg zum Neubau des Residenzschlosses
und des daran anschließenden Einkaufs-
zentrums freigemacht. Den überwiegenden
Teil des Schlossinneren – immerhin 75 % –
sollte die Stadt kulturell nutzen. Das war für
die Richard Borek Stiftung und für ihren
kunsthistorischen Berater Dr. Bernd Wede-
meyer Grund genug, sich auch mit der Her-
stellung der historischen Bekrönung des
neuen Residenzschlosses, der Quadriga, zu
befassen.
Der erfolgreiche Fortgang des Schloss-
neubaues in den Jahren 2003/04 entwickel-
te sich zum wichtigsten Antrieb für das
Quadrigaprojekt. Wäre der originalgetreue
Wiederauf bau der dreif lügeligen Anlage
mit ihren Hauptfassaden im Verlauf der
Jahre 2003 und 2004 gescheitert, wäre das
Quadrigaprojekt nicht weiterverfolgt wor-
den. Nachdem aber der Neubau des Schlos-
ses im Herbst 2003 immer deutlichere For-
men annahm und eine Aussicht auf den
Erfolg des Projektes bestand, begannen im
Sommer 2003 die ersten Überlegungen zur
Neuschöpfung der Quadriga. Die wichtigste
erste Maßnahme musste der Abguss des
Dresdener Quadrigamodells sein. Sollte der
Schlossaufbau doch noch scheitern, wäre
der Modellabguss nicht vergeblich gewesen,
und Braunschweig besäße ein Ausstellungs-
objekt, das sich hätte sehen lassen können:
eine lebensgroße Quadriga mit der Wagen-
lenkerin Brunonia, vier Pferden und dem
zweirädrigen Triumphwagen.
Das Dresdener Quadrigamodell
Nun war das Wissen um das 1999 in der
Dresdener Skulpturensammlung wieder-
entdeckte Quadrigamodell Ernst Rietschels