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einem noch offenen Grab und einem sonnengelben
Sarg, ganz still, ganz bleich, ganz ernst.
Doch dann sagte er sich, dass die Toten längst zu
Erde geworden waren, aus der nun die Bäume, Blü-
ten und Blätter herauswuchsen. Sie waren nicht
mehr gefesselt in der Dunkelheit ihres gewesenen
Lebens.
Ich bin auch alt, dachte Alexander. Ich war nie
jung, sondern immer allein und furchtsam und ein
Träumer, wie die anderen sagten. Das Leben beginnt
schon mit einer Last und Aufgabe, vor der man fort-
gehen, fortreisen, fortfliegen möchte wie die Vögel
im Herbst.
Wovor war Alexander geflohen? Nun vor dem,
wovor alle fliehen, die schwach und schüchtern sind,
vor dem Leben, vor den Aufgaben, vor den Prüfun-
gen. Er hatte wieder nicht die Tests und Klausuren
bestanden. Alles war danebengegangen und er war
weit unter der geforderten Punktzahl geblieben, war
wieder ratlos und verzweifelt.
„Abbrecher“, buchstabierte und stammelte er vor
sich hin, „Abbrecher“, „Studienabbrecher“. Er ließ
dieses Wort immer wieder über seine Lippen gehen,
dieses Stotterwort, das so hässlich war wie seine Be-
deutung.
Deshalb war fortfliegen sein einziger Gedanke ge-
wesen, fortfliegen in den Süden oder in eine schöne
mütterliche Stadt, in der man sich verstecken konn-
te, verstecken in der Schönheit. Und da war er auf
Prag gekommen, der heimliche Romantiker, auf
Prag, wo Kafka gelebt hatte, den er in seinen kleinen
Geschichten und Rätseln und in seinem großen mu-