Seite 16 - Raabe_inspiriert

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und streckte ihr seine Hand entgegen. „Ich hoffe, Sie
sind mir nicht böse wegen meiner Verspätung.“
Esther schluckte die vorwurfsvollen Worte, die ihr
schon auf der Zunge lagen, hinunter. Ihre ver-
krampften Lippen lösten sich. Die Anspannung
wich aus ihren Schultern. Lächelnd umfasste sie sei-
ne Hand und schüttelte sie.
„Dr. Steinmann.“
„Mertens. Lassen wir doch das Doktor weg.“
„Wie Sie wünschen.“ Ihr Lächeln vertiefte sich,
doch nur kurz, dann wurde sie ernst, trat einen Schritt
zurück und musterte ihn. Mittleres Alter, ihrem ent-
sprechend, blond und dynamisch, ein Arzt, den Pa-
tientinnen sicher mochten. Natürlich auch Patienten,
fügte sie im Geiste hinzu. Sicher war er ein guter Arzt,
ein Herzspezialist, wie sie gehört hatte.
„Frau Prof. Wegener sagte, dass Sie jemanden brau-
chen, der sich im Judentum auskennt?“
„Wie geht es ihr und dem Jüdischen Museum? Mei-
ne verstorbene Mutter und sie waren befreundet, müs-
sen Sie wissen. Und oft, wenn meine Mutter in Braun-
schweig war, haben sie sich im Museum getroffen.“
Esther räusperte sich. „Soweit ich weiß, geht es
beiden gut. Aber wenn Sie mir jetzt netterweise ver-
raten würden, um was es bei Ihrer Frage geht.“
„Frage?“ Er spitzte die Lippen. „Wissen Sie…“ Sei-
ne Hand fuhr in seine Hosentasche und gleich dar-
auf baumelte ein kleiner Metallring mit Schlüsseln
an seinem Zeigefinger. Sein Mund verzog sich zu
einem schiefen Lächeln. „Es ist etwas, das ich in dem
Haus und im Garten entdeckt habe. Dazu müssen
Sie wissen, dass das Haus von meinem Urgroßvater