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Wiebke Kock
Mein Onkel Böhrs
In meiner Leseecke auf dem sommerlichen Balkon
lege ich meine Lektüre beiseite, um den Mauerseg-
lern, die ich lange nicht gesehen habe, hoch über
mir zuzusehen. Pfeilschnell schießen sie dahin, ein-
zeln oder in Gruppen, und deutlich erkenne ich
ihre Umrisse vor den Federwölkchen am blauen
Himmel. Mit ihrem ausgeprägtem Flugstil bauen sie
eine spontane Erinnerungsbrücke zur Kindheit. Da-
mals kreisten sie um das Magdeburger Elternhaus
und den Garten, während ich mich mit demselben
Buch beschäftigte wie jetzt, der Erzählung „Unseres
Herrgotts Kanzlei“, die Wilhelm Raabe 1861 schrieb.
Raabe berichtet von den Ereignissen der Jahre
1550 und 1551 in der Stadt Magdeburg. Drei Jahre
zuvor war der Bann über die Stadt verhängt worden,
weil sich die Bevölkerung zu Luthers neuer Reli-
gionslehre bekannte, daran festhielt und sich durch
nichts beirren ließ. Rat und Bürger richteten sich
auf die Verteidigung der Stadt ein und hofften auf
Gottes Hilfe.
Raabes Erzählung findet ein gutes Ende. Nach an-
fänglichem Misserfolg kann sich die Stadt nachhal-
tig verteidigen. Auch die Konflikte lösen sich zum
Guten. Der junge Held Markus Horn kann seine
Verwundung ausheilen und gewinnt seine Jugendlie-